Interview mit Spiegel-Online

Im Interview mit Spiegel-Online durfte ich auch meine Lieblingsfrage beantworten, die nach dem koreanischen Weltschmerz, dem “Han”.

Hier ein Auszug:

SPIEGEL ONLINE: Ein anderer Begriff, der viel über Korea erklärt, ist Han – man könne daran sterben, heißt es. Was bedeutet Han?

Kittel: Han ist eine traurige Grundstimmung, übersetzbar vielleicht mit “Weltschmerz”, fühlbar nur als Koreaner. Es wird auch beschrieben als eine Trauer, die sich nicht auflöst, eine Rache, die man niemals nehmen kann, oder wie ein Knoten im Herzen. Han-Filme zum Beispiel sind unglaublich trist, erfüllt von großer Traurigkeit.

SPIEGEL ONLINE: Woher kommt diese Art Nationaltrauer?

Kittel: Das Volk der Koreaner musste viel erleiden: Zum Beispiel wurde Korea 900-mal von Nachbarländern überfallen, zur Kolonialzeit bis 1945 wollten die Japaner die koreanische Sprache abschaffen, der Antrag auf Selbstständigkeit wurde von der Friedenskonferenz 1905 in Den Haag abgelehnt – eine unglaubliche Demütigung. Auch die Trennung ist ja nicht selbstverschuldet, die wurde den Koreanern von den Westmächten und China aufgedrückt. Die Koreaner sagen immer noch: “Wir sind der Shrimp zwischen den Walen” – also zwischen Japan und China.

SPIEGEL ONLINE: Han und die hierarchisch geprägte Gesellschaft wirken ja sehr gegensätzlich zu den bonbonbunten K-Pop-Videos und Soaps, die Korea in die ganze Welt exportiert – wie kann das sein?

Kittel: Alles gibt es gleichzeitig. Unter der Diskrepanz zwischen Tradition und der modernen Welt leidet auch die junge Generation, die ja viel reist und viel sieht. Zuhause küssen die Koreaner die Hand des Großvaters, und in der Firma müssen sie sich jede Entscheidung von oben absegnen lassen. Das hemmt unglaublich.

Das ganze Interview auf Spiegel-Online:

Interview mit Goethe-Institut

Ein gutes Jahr reist Sören Kittel durch Südkorea. Das Ergebnis ist der 2016 erschienene Reisebericht „An guten Tagen siehst du den Norden“, der zu den aktuellsten deutschsprachigen Büchern über Korea gehört. Ein Gespräch über „Han“, das Verständnis des Fremden und koreanisches Machertum.

Herr Kittel: Warum ein Buch über Korea?

Ich bin zum Glück angesprochen worden, ob ich das Buch machen will. Ich war zunächst mit dem Stipendium der Internationalen Journalisten-Programme hier, die jedes Jahr vier Journalisten nach Asien schicken und vier aus Asien empfangen. Ich entschied mich dann für Korea und hatte gegen Ende der Zeit noch einmal die Gelegenheit, nach Nordkorea zu kommen. Als Ergebnis habe ich dann ein Dossier für die „Welt“ geschrieben, für das ich den Meridian-Journalistenpreis für Reisejournalisten bekam. Und dann rief mich der DuMont-Verlag an, ob ich nicht ein Buch machen will.

In Ihrem Buch zieht sich das Konzept des „Han“ wie ein roter Faden durch das Buch. „Eine Form der universellen Traurigkeit, die sich nie auflöst“, so wird es beschrieben. Was war der Anlass dafür?

Gin, ein koreanischer Freund von mir, der inzwischen verstorben ist, erzählte mir als Erstes von diesem unübersetzbaren Begriff. Wenn ich die Menschen heute, zwei Jahre später, auf „Han“ anspreche, sagen mir viele, dass das eine Sache der Vergangenheit ist. Das gebe es nicht mehr so richtig. Aber damals hatten die Menschen alle etwas, das sie damit verbanden. Ich war auch privat in einer traurigen Stimmung, undeine solche Stimmung fällt in Korea einfach auf einen Resonanzboden. Das ist ein Gefühl, das man nicht wegdiskutieren kann. Ich lernte zum Beispiel eine Frau kennen, die mich mit dem Auto mitnahm und mir plötzlich ihr Herz ausschüttete. Sagt, dass sie ihren Mann schon seit Jahren nicht mehr liebe und nur noch wegen der Kinder da sei. „Und wie heißt das bei euch, YOLO? Youonly live once?” Dieses Konzept, dass man manche Dinge einfach mal machen muss, weil man eben nur einmal lebt, das kannte sie nicht. Das hat mich berührt, und deswegen dachte ich, „Han“ könnte eine Art Leitmotiv für das Buch werden.

Das ganze Interview hier.