Berlin. Dieser Tag im Saal 500, Landgericht Berlin Moabit, ist so eine Art Showdown in einer Serie, die alle sehr mögen, aber die jetzt wirklich langsam mal zum Punkt kommen könnte. Alle Reporter im Saal drehen sich um zur Uhr an die Wand, Ihre Telefone, auf denen sie sonst die Zeit ablesen, mussten sie abgeben. Es ist Punkt 11.02 Uhr am 14. Dezember und fast erwartet man auftosenden Beifall im Saal, als der Vorsitzende Richter Martin Mrosk mit feierlich-fröhlicher Stimme verkündet: „Herr Ferchichi, darf ich Sie bitten, uns allen von den 18. Januar 2018 zu erzählen.“
Dieser Aufforderung gingen 15 Verhandlungstage voraus, an denen der berühmte Rapper seinen Karriereweg nachzeichnete, ein Erfolg, der eng mit seiner Freundschaft zu Arafat Abou-Chaker einem in Berlin stadtbekannten Mafiaboss zusammenhängt. Als Gangster-Rapper braucht er einen „Rücken“, der ihn vor den Begehrlichkeiten anderer Gangster beschützt.
Außer hilft natürlich Zugang zu diesem Milieu das eigene Image des rauen Buben zu verkaufen. Als Bushidodiese „Zwangsehe“, wie er ihr Verhältnis selbst bezeichnete, auflösen wollen, wollte ihn der Abou-Chaker-Clan nicht gehen lassen. So Bushidos Version, der im Verfahren ein Nebenkläger ist. Angeklagt sind neben Arafat (41) seine Brüder Nasser (49), Rommel (42) und Yasser (39) Abou-Chaker.
Bushido im Prozess gegen Arafat Abou-Chaker: „Yasser hat eigentlich nichts zu sagen“
Die vier Brüder waren zusammengekommen, erzählt Bushido, um ihn einzuschüchtern. In ihrem Treffpunkt in Kreuzberg schrien ihn an, schlugen ihn und bedrohten nicht nur den Sänger, sondern auch seine Frau und die Kinder. Bushido war im Glauben zu dem Treffen gefahren, er könne ihre Beziehung „sauber“ beenden – doch er fand sich eingesperrt und beleidigt wieder. Vor allem Arafat führte den Streit an, Nasser versuchte erfolglos zu schlichten, Rommel sei zu sehr mit seiner Drogensucht beschäftigt gewesen – und Yasser: „Der hat doch eigentlich gar nichts zu sagen.“
Der war auch der erste Prozesstag da alle vier Angeklagten Thema waren. Yasser, der laut Bushido nur die Drecksarbeit mache, ausgerechnet er ist es, der schon jetzt im Gefängnis sitzt und den Prozess in einer Sicherheitszelle beiwohnt. Nasser bläht sich ein paar Mal auf und Arafat machte am Montag allein so viele Zwischenrufe wie an allen Prozesstagen zuvor.
Hatte Bushido in seinen vorangegangenen Aussagen eher nebenbeitiefe Einblicke in die Arbeitsweise eines arabischen Großclans in Berlin gegeben hat, war nun endlich heute der Tag an der Reihe, der Dinge enthält, die strafrechtlich zu einer Anklage der Staatsanwaltschaft geführt haben: Sie lautet auf räuberische Erpressung, Untreue, Freiheitsberaubung, Nötigung, Beleidigung.
Bushido kann sich nicht an Schmerz erinnern
Auffällig war, dass es ausgerechnet nicht Bushidos stärkster Tag als Erzähler war. Immer wieder flicht er ein „Ach, Scheiße“ in seine Erzählung, mehrfach erinnerte ihn der Richter an die Themen, die er noch vom Rapper hören will. Selbst bei eigentlichen Steilvorlagen wie „Hat es wehgetan, als Sie mit der Flasche verletzt wurden“, antwortet Bushido seltsam unsicher und beinahe verlegen „ich kann mich nicht erinnern.“
Kein Zweifel, dieses Ende einer Freundschaft, wie sie ihr Verhältnis selbst nannten, und an dessen Ende der eine dem anderen wahlweise „in den Mund kacken“ oder „die Kinder ficken“ wolle, sind die Brücken wohl für immer verbrannt. Besonders detailliert beschreibt er, wie er nach dem Treffen in Kreuzberg nach Hause zu seiner Frau kommt. Sie fragt ihn, warum er blute, und ob er geweint habe. Bushido wollte ihr nicht antworten, weil der Konflikt zu Arafat auch wegen ihres Eingreifens eskalierte. Dann plötzlich klingt seine Stimme im Zeugenstand brüchig. Unter Tränen sagt er, dass er seit drei Jahren einen Psychologen besuche.
Noch ist offen, ob es im kommenden Frühjahr zu einer Freiheitsstrafe in diesem Fall kommen wird. Der Prozess wird unter strengen Corona-Auflagen am Mittwoch fortgesetzt.
Erschienen in der Berliner Morgenpost: 15. 12. 2020