Berlin. Dieses Mal beginnt Bushido seine Aussage mit einer Selbstbezichtigung. Als er den Zeugenstand betritt, sagt er: „Ich war ein unangenehmer Ehemann.“ Seine Frau Anna-Maria, die Schwester der Pop-Sängerin Sarah Connor, habe ein Kind mit in die Ehe gebracht, im Juni 2012 kam seine Tochter zur Welt und im November 2013 seine Zwillinge. „Ich habe meine Frau allein stehen lassen mit all der Arbeit.“ Dann starb seine Mutter, an der er sehr gehangen habe. „Ich war ein Muttersöhnchen“, sagt Bushido vor Gericht. „Ihr Tod hat mir den Boden unter den Füßen fortgerissen.“
Mit Bushidos Aussage steuert der vielbeachtete Prozess gegen Clanchef Arafat Abou-Chaker seinem Höhepunkt entgegen. Nach mehrwöchiger Unterbrechung ist der Rapper wieder im Landgericht Berlin in Moabit und erzählt von seiner rund 14 Jahre dauernden Geschäftsbeziehung mit Abou-Chaker. An deren Ende im Jahr 2017 soll es mutmaßlich zu Vorgängen gekommen sein, die der eigentliche Gegenstand dieses Prozesses sind: Dem 41 Jahre alten Clanchef wird versuchte schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Seine Brüder Nasser (49), Rommel (42) und Yasser (39) sind mitangeklagt, letzterer ist in Untersuchungshaft.
Bushido geht deshalb so ausführlich auf seine Eheprobleme ein, weil das dazu beitrug, die Beziehung mit Arafat zu beenden. Bei einer gemeinsamen Reise im Dezember 2014 an den Chiemsee sei der Pullover seiner Frau im Restaurant am Rücken hochgerutscht. „Sofort gab es einen Riesenstreit“, sagt Bushido. Arafat warf seiner Frau in dem Restaurant vor, zu viel Haut zu zeigen, das sei Bushido gegenüber respektlos. Selbst als Arafat seiner Frau vorwarf, vom „Teufel besessen zu sein“, habe er nicht reagiert. „Ich dachte nur: ,Jetzt brennt’s hier wieder’, aber gemacht habe ich nichts“, sagt Bushido heute darüber. „Das war die dümmste Entscheidung.“
Der Streit nach dem Chiemsee-Urlaub aber führte zu einem Bruch mit seiner Frau. Sie zog aus – mit Hilfe der Polizei, weil Bushido im Streit handgreiflich geworden war. Die Stärke an Bushidos Erzählung ist allerdings nicht nur das ständige Selbstreflektieren eigener Fehler, sondern auch die Detailfülle: „An dem Abend stehen Arafat und ich Schulter an Schulter am Küchenfenster und wir sehen, wie meine Frau zum Auto geführt wird und meine Kinder von LKA-Beamten getragen werden.“
Dieses Erlebnis und die Wochen danach allein im Haus beschreibt der Rapper als den „absoluten Tiefpunkt in seinem Leben“. Es war ein Freitag, Arafat ging in die Moschee, am Abend flogen sie zusammen nach Zürich, zu einem Auftritt. Doch statt Arafats Rat zu folgen und ein Leben ohne seine Familie aufzubauen, versucht Bushido, sie zurückzugewinnen. Sie war zu ihrer Mutter gezogen. Es dauerte mehrere Wochen, bis sie wieder mit ihm sprach. Bei ihrem ersten längeren Telefonat hatte sie noch eine Nachricht für ihn: „Ich bin schwanger.“
Der Spannungsbogen in Bushidos rund dreistündiger Erzählung ist beeindruckend. Der Richter erinnert ihn daran, dass er sich auf seine Beziehung zu Arafat konzentrieren solle, die hatte er in früheren Aussagen schon als „Zwangsehe“ bezeichnet. Sowohl seine Mutter als auch seine Frau Anna-Maria seien zeitweise „sehr eng“ mit Arafat gewesen. Die Zuhörer erfahren zudem, dass Anis Ferchichi, so sein bürgerlicher Name, nicht mit einer Waschmaschine umgehen kann, dass er mit 21 Jahren Alkohol und Nikotin abschwor – und dass er so gut vernetzt ist in Berlin, dass er innerhalb kürzester Zeit „drei oder vier Kindergartenplätze“ organisieren konnte.
Im Mai 2015 kam seine Frau zu ihm zurück. Es gab die Idee, dass er in die Stadt seiner Schwiegermutter zieht. „Wenn meine Frau das will, mach ich das“, sagt er. „Arafat hatte zu mir gesagt, wenn ich mich mit ihr vertrage, bin ich ein Hund.“ Ihm sei klar, sagt Bushido, dass er „auf Bewährung“ sei. „Ich habe mich klar für die Familie entschieden.“ Er ging zu Elternabenden im Kindergarten, und auch die Studiobesuche passierten plötzlich nicht mehr in der Nacht, sondern „zu christlichen Zeiten“, also zwischen 11 und 18 Uhr. „Ich wollte meine Kinder ins Bett bringen“, sagt er.
Arafat Abou-Chaker hört diese Geschichten über ihre Freundschaft an und schüttelt immer wieder den Kopf. So geht das seit Beginn des Prozesses, der am Mittwoch fortgesetzt wird. Nur einmal wird es ihm am Montag doch zu viel, und er stöhnt laut auf. Als Bushido sich unterbricht und in seine Richtung schaut, sagt Arafat: „Nichts, wir genießen die Show.“ Das ist die Stelle, als Bushido gerade von einem Plan Abou-Chakers berichtet, „nie wieder Steuern zahlen zu müssen“.
Es gebe einen Steuerberater, der davon überzeugt sei, der Staat Deutschland sei eine „GmbH“ und deshalb müsse man dessen Regeln und Gesetze nicht akzeptieren. „Reichsbürger sind Blödsinn“, fasst Bushido seine Meinung zu diesem Trick zusammen. Und sagt noch, dass es in seiner Szene aber eben so sei: „Es gibt für jedes Problem jemanden, der einem helfen kann.“ Diese Szene noch genauer kennenzulernen, wird auch Inhalt dieses Prozesses sein.
Erschienen in der Berliner Morgenpost, am 27. 10. 2020