Gerade als es so richtig gemütlich werden konnte, als sich sowohl Kai Diekmann als auch die Moderatorin Pinar Atalay schön warm-geduzt hatten und bereits die großen Themen Kohl und Putin abgeräumt hatten – da stellt die Moderatorin eine Frage, die noch jeden Springer-Mitarbeiter, ob aktuell oder ehemalig, ins Stolpern gebracht hätte. Atalay fragt mit ihrer freundlichen Stimme, die jeder harten Frage die scharfen Kanten absäbelt: „Hast du dich eigentlich mit Mathias Döpfner einmal gestritten, weil er Dinge behauptet wie ‚die Ossis werden nie Demokraten‘?“
Die Frage war ganz klar nicht abgesprochen und Kai Diekmann ist Profi genug, einfach loszusprechen, über Helmut Kohl und dessen Statue vor dem Axel-Springer-Haus und dem großen Verleger Springer selbst, der doch damals noch „Der Brandenburger Tor“ genannt wurde, weil er seinen Verlag an die Berliner Mauer baut. Hatte das etwas mit Döpfner zu tun? Nein, aber dafür ist die Antwort unterhaltsam.
Und das ist etwas, das an diesem Sonntagmittag im Tempodrom schnell klar wird. Der 58 Jahre alte Ex-Journalist, der jetzt Politikberater ist, kann es immer noch: Eine gute Geschichte auf das Wesentliche reduzieren und sie so in kleine, mundgerechte Teile verpacken, dass niemand davon genug bekommen kann. Im kleinen Saal des Tempodrom feiert er die Premiere seines Buches „Ich war Bild“, und gekommen sind vor allem Freunde des Mannes, der 16 Jahre lang Deutschlands auflagenstärkste Zeitung als Chefredakteur geprägt hat.
Da gibt es die Geschichte, wie er in New York sitzt und die Nachricht von Christian Wulff abhört und sie gleich noch mal abspielt, weil er es nicht glauben kann. Dann die, wie Hannelore Kohl ihn immer Beethoven genannt habe, weil Diekmann damals eine recht unkontrollierbare Frisur hatte. Dann erzählt Diekmann, wie er mit der späteren Gelfrisur bei Wladimir Putin sitzt und der ein Interview vor ihm zerreißt, das er eigentlich autorisieren sollte. Wladimir Putin führt das Interview live gleich noch einmal, während Kanzler Gerhard Schröder dabei sitzt. Oder wie er den finnischen Formel-1-Star Mika Häkkinen für den Taxifahrer hält, weil er ihm als „Fahrer“ vorgestellt wurde. „Ich bin promiblind“, gesteht der Ex-Chef.
Je länger Kai Diekmann von seinen 16 Jahren als Chefredakteur erzählt, desto nostalgischer wird das Publikum, nicht nur wegen der vielen Schwarz-Weiß-Bilder, die hinter ihm an die Wand geworfen werden. Sondern: Allen im Saal fällt ein, dass es tatsächlich einmal eine Zeit gab, als Redakteure mit Putin einfach ein Interview führen konnten und danach mit ihm in engen Speedos zum Strand laufen (Ja, es gibt das Foto mit Diekmann und Putin in Speedos). Die MeToo-Fälle der Stars waren noch nicht öffentlich und auch über Springer gab es noch keine Überschriften, in denen Chefredakteuren toxische Männlichkeit vorgeworfen wurde. Die ganze Buchvorstellung hat deshalb auch etwas von einem Veteranentreffen.
Doch Pinar Atalay will sich nicht zu sehr auf diese Nostalgie-Schiene lenken lassen, auch wenn sie auf der „Original-Couch“ sitzt, auf der schon Lady Gaga bei ihrem Besuch in der Bild-Redaktion gesessen hat. Bild hat sie in das Tempodrom bringen lassen, zusammen mit dem Gemälde vom Bild-Logo, das so arg ramponiert ist, ähnlich wie der Ruf der Redaktion nach dem Weggang Diekmanns. Atalay fragt, ob sein Führungsstil nicht auch erst den Weg geebnet habe für einen Nachfolger wie Reichelt? Wieder ein Moment, den Diekmann weglächelt, was soll er auch sagen über seinen berühmt gescheiterten Nachfolger?
Vielmehr nutzt Diekmann die Gelegenheit und holt zur Selbstkritik aus, die aber in ihrer großen Geste auch wieder etwas Selbstherrliches hat. Er sagt: „Es gibt unendlich viele Situationen“, sagt er, „zu denen ich jetzt sagen muss, das hätten wir anders machen müssen.“ Atalay nennt als Beispiel den Umgang mit Sibel Kekilli, einer Schauspielerin, mit der Springer ungewöhnlich hart umgegangen war. „Ja, Kekilli war so ein Fall“, gibt Diekmann zu, „und auch die Berichterstattung rund um die Agenda 2010. „Doch bevor auch diese Frage zu ernst wird, sagt er: „Aber ich habe nichts Dümmeres gemacht, als den Penis-Prozess zu führen.“
Der Penis-Prozess geht auf einen Text in der taz zurück, die Diekmann eine Penisverlängerung angedichtet hatte. Er zog vor Gericht und erinnert sich noch jetzt schmerzhaft, wie Gerichtsdiener mehr Stühle in den Saal bringen mussten, weil so viele Journalisten über den Spaß berichten wollten. Doch inzwischen hat er sich mit der taz versöhnt. Auf die BER-Schlagzeile in der linken Tageszeitung „Berlin kriegt keinen hoch“ ist er noch heute neidisch.
So will er dann wohl auch in Erinnerung behalten werden in Berlin, wenn er sich mehr und mehr nach Usedom zurückzieht, wo er ein Haus besitzt, weit weg vom Medienrummel: Als einer, der mit Fehlern der Vergangenheit abgeschlossen hat und aus seinen Erlebnissen Dinner-Table-taugliche Anekdoten macht, bei denen vor allem einer gut aus allem herauskommt: Kai Diekmann. Als er der amtierenden Bild-Chefin Blumen überreicht, sagt er: „Das Leben bei Bild ist hart.“