Das Sony Center ist unterschätzt: Eine Liebeserklärung

Sony Center

Bei einem Krankenwagen hören Sie nur die Sirene, nur das Geräusch, es geht nicht um das Leben, das wahrscheinlich gerade gerettet werden muss. Bei einer schrillen Kinderstimme (Eis! Eis! Eis!) denken Sie nicht daran, ob dieser Wunsch wohl erfüllt wird. Wenn die Eltern etwas rufen („Wir hatten doch gerade erst Eis!“), dann löst das ebenso nichts aus. Es geht Sie nichts an. Genauso wenig wie das sanfte Rauschen, das vom benachbarten Tiergarten kommt. Oder kommt es vom Springbrunnen nebenan? Oder doch von der Straße? Ist es das Rauschen vom Straßenverkehr?

Das Sony Center wurde im Jahr 2000 nach nur drei Jahren Bauzeit eröffnet. Der Architekt dieses tempelähnlichen Gebäudes, Helmut Jahn, wollte mit diesem Bau der Stadt Berlin endlich einen Berg im Zentrum geben; denn bis auf den Teufels-, den Kreuz- und Prenzlauer Berg ist es doch eine recht flache Großstadt. In der Tat soll die aufwendige Dachkonstruktion an den Berg Fuji erinnern, den heiligen Ort vor den Toren Tokios.

Jahrelang fremdelte Berlin mit diesem seltsamen Bau in bester Lage. Einerseits bestimmte es die Skyline beeindruckend mit, andererseits galt das Sony Center als „Nicht-Ort“. Es ist ein Durchgang, um vom Potsdamer Platz zur Philharmonie oder vom Tiergarten ins Kino zu kommen. Maximal betrat man ihn widerwillig für ein Känguru-Steak im australischen Restaurant oder für das Legoland im Keller. Den Australier und das Legoland gibt es immer noch, hinzu gekommen ist eine bayrische Bierkneipe, demnächst zieht ein Fitnessstudio ein.

Plätschern, Gurgeln, Klingeln.

Doch zumindest für mich hat sich das in den vergangenen Jahren geändert: Ich habe diesen Ort in jeden Stadtrundgang mit Freunden eingebaut, er ist sogar ein Ruheort geworden für mich. Nirgendwo sonst in der Gegend ist es schöner, sich für einen Augenblick ganz auf die Architektur einzulassen und vor allem die Soundkulisse zu würdigen, die hier ganz nebenbei entsteht: das Plätschern, das Gurgeln, das Klingeln, die Gespräche in mehreren Sprachen.

Ursprünglich hatte das Sony Center drei Seiten: auf der einen wurden Eigentumswohnungen gebaut, in denen Menschen wie Udo Lindenberg ihre zeitweilige Wohnung in Berlin haben, wenn sie einmal hier sind. Im zweiten Gebäudeteil, zum Park hin, sind Büros untergebracht, die Sphäre der Arbeit. Und im dritten Teil, Richtung Südausgang, ist die Unterhaltung angesiedelt. Dort war jahrelang das Kino Cinestar, dessen Buchstaben gerade abmontiert wurden. Doch wer einmal in den vergangenen 20 Jahren dort auf der Toilette war, weint dem Kino keine Träne nach.

Und jetzt hat das Sony Center so viel Patina, dass es aktuell sogar saniert werden soll, bis 2023. Das gefaltete Dach glänzt trotzdem jede Nacht nacheinander in den Farben des Regenbogens. Der ganze Bereich unter dem Dach wird dann jeweils in tiefes Rot, in kühles Blau oder in kräftiges Grün getaucht. Es verfehlt nie seine Wirkung, und wer trotzdem die Augen einmal schließt, wird hier Tag und Nacht mit dem Rauschen der Großstadt belohnt. Einem Gefühl, das sonst nur in Seoul oder Singapur entsteht.

Das Sony Center ist nicht nur perfekt angebunden, es liegt auch genau auf der Grenze zwischen Ost- und West-Berlin.  Hier am Potsdamer Platz wurde die erste Ampel der Welt aufgestellt, das Rot-Gelb-Grün begann hier. Hier eröffnete 1994 das erste Hostel der Stadt, als ein Berliner ein paar Matratzen in ein Zimmer in der Köthener Straße 44 schob und begann, sie zu vermieten. Und hier am Potsdamer Platz trifft sich jedes Jahr die Filmwirtschaft der Welt für die Berlinale.

Immer ein paar Grad kühler als draußen

Am Mittwoch in dieser Woche war es noch hell und zudem noch heiß draußen vor dem Sony Center. Unter dem Fuji-Dach jedoch wurde es merklich kühler. Das Metall der Sitzbank kühlte zusätzlich und selbst bei leichtem Regen war drinnen nichts mehr davon zu spüren.

Das Eis, von dem die Kinderstimmen erzählten, das gibt es tatsächlich. Es gibt die Sorten Zitrone Baiser, White Coffee, Honig Lavendel und Kirsche Hibiskus. Und gerade als man sich hinsetzen will, um es zu genießen, hört man jemanden schimpfen, über die Eis-Preise in Berlin, über den verspäteten Zug, über den Lärm. Deshalb: Augen zu und ab in die große weite Welt.