Ganz am Ende von „Boys Club“ stellen sich die Macherinnen des Podcasts die Frage, was sie nach den anderthalb Jahren Recherche, nach Gesprächen mit 40 Mitarbeitern von Axel Springer, nach acht Folgen – was sie nach all dem gelernt haben. Die leicht dudelige Hintergrundmusik stoppt für einen Moment und in die Stille fragt Pia Stendera: „Was ist denn das Problem bei Axel Springer?“ Ihre Kollegin Lena von Holt windet sich erst, lacht dann verschämt und sagt schließlich langsam: „Dass mit Macht nicht verantwortungsvoll umgegangen wird.“
Aber wer verstehen will, was die Macht dieses Verlags genau ausmacht, der hat das leider in diesem Podcast nicht gelernt. Vielmehr hat es den Autorinnen Freude gemacht, Klischees von Machtstrukturen zu wiederholen, die inzwischen auch bei Axel Springer längst ironisch gebrochen oder zumindest offen angesprochen werden. Passenderweise verweigern sich die Autorinnen häufig der Einordnung mit Jahreszahlen, wo sich doch in #MeToo-Fragen seit dem Jahr 2017 so viel geändert hat.
Ein Beispiel ist eine eigentlich sehr eindrückliche Szene in Folge 7, als eine Bild-Mitarbeiterin eingeladen wird, von einem unangenehmen Erlebnis mit einem Vorgesetzten zu berichten. Es sei ein Compliance-Verfahren, hieß es, eine interne Ermittlung wegen Verstößen gegen Unternehmensregeln also. Die Mitarbeiterin musste damals das Wort nachschlagen, weil sie es nicht kannte.
Im Subtext sagt diese Szene aber auch: Axel Springer hatte schon ein Compliance-Verfahren, als andere noch nicht einmal ein Wort dafür hatten. Und ja, es mag sehr unbeholfen sein, wenn sich diese junge Frau im Verfahren ausschließlich mit drei Männern auseinandersetzen muss, die sie noch dazu nicht nach Beweisen fragen. Aber wann fand das Gespräch statt? 2016 oder 2021?
Im Prinzip vertont der Podcast die Geschichten, die in der New York Times, Financial Times und im Spiegel standen. Sie sind jetzt noch einmal in Benjamin von Stuckrad-Barres Roman nachzulesen und wurden mit verschiedenen WhatsApp-Nachrichten in der Zeit garniert. In dieser Woche erschien noch die Biografie von Reichelts Vorgänger Kai Diekmann, der im Podcast ebenfalls mit dem Thema Machtmissbrauch in Verbindung gebracht wird.
Doch das wirklich Ärgerliche an „Boys Club“ ist, dass die beiden Autorinnen ein Fazit ziehen, das den Anlass ihrer Recherche verwässert: Springer sei im Grunde überall, sagen sie, es gebe „andere Medienhäuser, DAX-Konzerne oder Anwaltskanzleien“, wo es ganz ähnlich laufe. „Und es ist wirklich so“, sagt Pia Stendera, „all die Dynamiken gibt es so oder so ähnlich überall, es sind Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind und den einen nützen und den anderen schaden.“
Und direkt danach erzählen sie von den Springer-Mitarbeitern, die sie kontaktiert haben und die froh sind, endlich bestimmte Strukturen ansprechen zu können. Haben die Autorinnen wirklich bis zur letzten Folge geglaubt, dass bei Axel Springer alle Mitarbeiter Teil einer gut geölten Machtmaschine sind? Haben sie erst dann gemerkt, dass selbst im Springer-Verlag Journalisten arbeiten, die einfach für gute Texte kämpfen, für ihre Recherchen brennen, ungeachtet von Ideologien oder hausinternen Kämpfen?
Das wundert dann doch. Je länger man den beiden Autorinnen zuhört, umso mehr fragt man sich, ob sie zur Vorbereitung nur Heinrich Böll und Günter Wallraff gelesen hatten. Wer wirklich verstehen will, wie die Macht ins Haus Axel Springer kommt, der muss die Amazon-Doku „BILD.Macht.Deutschland“ sehen, die noch zu Zeiten erschien, als Julian Reichelt Chefredakteur der Bild war. Wir sehen die Politiker, die bei Bild aus- und einkehren, den unaufgeräumten Schreibtisch und die Jungs-Runden bei Julian Reichelt im Büro, wo manchmal auch Frauen mitreden.
Das sind die Szenen, die in „Boys Club“ fehlen. Stattdessen erzählen junge Reporterinnen ganz ehrfürchtig, wie sie zum ersten Mal Business Class fliegen und wie beeindruckend das alles sei. Auch Funke, Burda und der Spiegel behandeln ihre Reporter ähnlich, ohne dass dort ein korruptes System dahinter vermutet wird.
Verwunderlich auch bis zum Ende der acht Folgen: An keiner Stelle von „Boys Club“ wird einmal benannt, wer denn jetzt die Mitglieder im engen Kreis um Julian Reichelt waren. Und welche Bedeutung hätte der Name Boys Club eigentlich, wenn ein Großteil nicht-hetero wäre? Schwamm drüber, der Club ist sowieso Geschichte.
Und vielleicht können wir jetzt wieder die Springer-Festspiele beenden und uns auf gute Geschichten konzentrieren, zum Beispiel die der Berliner Schulklasse, die vor einer Woche im Ferienlager in Brandenburg rassistisch attackiert wurde. Der erste Text darüber stand in der Bild, unter anderem geschrieben von Til Biermann (ja, der „Sohn von… “), der Chefreporter bei Bild ist und nie in einem Boys Club war.