Kim Yung-ho betritt den Salon im achten Stock des Hotels InterContinental. Der 63 Jahre alte koreanische Minister für Wiedervereinigung hat viele Termine an diesem Montag: Er trifft Nordkoreaner, die in Deutschland leben und besucht später die Stasi-Gedenkstätte in Hohenschönhausen. Mit der Berliner Zeitung spricht er über den Stand der Wiedervereinigung in seiner Heimat, den Umgang mit geflüchteten Nordkoreanern – und welchen Nationalfeiertag Südkorea am gleichen Tag begeht.
Herr Minister, der 3. Oktober ist in zwei Ländern auf der Welt ein Feiertag, in Südkorea und in Deutschland. Sie feiern ihn in diesem Jahr hier, warum?
Am 3. Oktober feiern wir die Korea die 5000-jährige Geschichte. Ich bin sehr froh, dass ich für die Feierlichkeiten zu 33 Jahre Wiedervereinigung in Deutschland als einziger ausländischer Minister eingeladen bin. Dieses Jahr markiert auch das Jubiläum für 140 Jahre Beziehungen zwischen Deutschland und Korea. Ich bin sehr dankbar, in einem Land zu sein, das wie meine Heimat die universellen Werte wie Menschenrechte, Freiheit und Demokratie teilt.
Wir feiern Wiedervereinigung, Ihr Land ist weiter getrennt, befindet sich nur im Waffenstillstand mit seinem Nachbarland Nordkorea. Wie fühlt sich diese Grenze für Sie an?
Ich habe mein Amt als Wiedervereinigungsminister erst im Juli dieses Jahres angetreten, als ich noch im Präsidialamt gearbeitet habe, war ich aber ebenfalls zuständig für die Vereinigungsangelegenheiten. Damals habe ich sehr oft die Grenze besucht. Jeder, der dorthin kommt, kann mit seinem ganzen Körper spüren, wie hoch die Anspannung ist. Wir sind das einzige geteilte Land der Welt und ich glaube trotzdem weiter an eine friedliche Wiedervereinigung.
Und ist die deutsche Wiedervereinigung für Sie das Zeichen, dass es funktionieren kann.
In Bezug auf die deutsche Einheit finde ich besonders wichtig, dass die Politik der westdeutschen Regierung eine Grundlage darstellte, die sich bis heute auswirkt. Außerdem war von Anfang an der Wille zur Selbstbestimmung innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung besonders stark. Die Diplomatie der westdeutschen Regierung damals, damit befasse ich mich gerade besonders, in Vorbereitung für eine mögliche koreanische Wiedervereinigung. Ich wünsche mir, dass die nordkoreanische Bevölkerung in ihrem Herzen erfährt, was Freiheit bedeutet. Wenn sie das tun, dann erreichen wir auch eine friedliche Wiedervereinigung.
Ich habe einmal gelesen, in Ihrem Ministerium liegen 26 Pläne für eine Wiedervereinigung in der Schublade. Wie viele haben sie jetzt?
Wir haben sicher mehr als 26 Maßnahmen für die Wiedervereinigung geplant. Aber entscheidend ist für mich vor allem eines: Der Artikel 4 in unserer Verfassung sagt, dass wir die Wiedervereinigung vorantreiben auf der Basis von Freiheit und Demokratie. Aber dort steht auch, dass wir die Zustimmung der Bevölkerung dafür gewinnen. Ohne geht es nicht.
Hilft es dann, dass die Netflix-Serie „Crash Landing on You“ so erfolgreich ist? In der Serie verliebt sich eine Südkoreanerin in einen nordkoreanischen Grenzsoldaten.
Dieses Drama war ein großer Erfolg in Südkorea. Ich habe die Gelegenheit gehabt, mit der Produzentin auf einem Podium über die Entstehung des Dramas zu sprechen. Sie sagte, sie wollte so akkurat wie möglich das Leben in Nordkorea darstellen. Ich denke, die Serie hat einen großen Beitrag dafür geleistet, dass Südkoreaner sich gut mit der Lage in Nordkorea auskennen. Da haben sie sehen können: Sie sind genau wie wir, sie denken wie wir. Und vor allem: Wir gehören zusammen.
Auch im Norden werden südkoreanische Serien geschaut, so wie im Osten Deutschlands auch vor der Wiedervereinigung West-Fernsehen gesehen wurde. Hat das einen großen Einfluss?
Kennen Sie die Serie „Treppe zum Paradies“, die ist so beliebt in Nordkorea, dabei geht es nur um den Alltag in Südkorea. Das Gute an koreanischen Serien ist, sie machen süchtig. Und ganz nebenbei können Nordkoreaner sehen, wie ein Leben in Freiheit aussieht. Ich bin überzeugt davon, dass sie so auch den Unterschied herausfinden, wie autoritär und unterdrückend ihre eigene Gesellschaft ist. Mehr als 60 Prozent der Nordkoreaner sehen sich diese Dramen an. Leider hat das Regime aktuell die Strafen dafür wieder erhöht.
Also setzen Sie auf ein langsames Überzeugen der Bevölkerung?
Der Regime-Kritiker und Ex-Präsident Vaclav Havel hat einst den Begriff Post-Totalitarismus entwickelt. In seinem Aufsatz „The Power of Powerless“ geht es auch darum, dass Osteuropa Gelegenheit hatte, sich mit dem Westen zu beschäftigen als alternative Kultur. Der Wunsch, selbst auch so frei leben zu wollen, sei durch den Kontakt erst entstanden, konnte sich etablieren und Havel hat den Fall der Mauer so beinahe vorausgesagt. Ich finde, man sollte bei der Beschäftigung mit Nordkorea nicht nur dessen Nuklarprogramm berücksichtigen. Man sollte sich auch die Kultur anschauen.
Sie gelten als Hardliner in einer ohnehin konservativen Regierung. Spricht so ein Hardliner?
Ich habe kurz nach meinem Antritt als Minister einen hohen Repräsentanten der Religion in Korea getroffen. Er sagte zu mir: Sie sehen so nett aus, die Presse nennt Sie immer Hardliner. Ich sage es so: Ich verfolge nur die Politik gegenüber Nordkorea, die auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie pocht. Ich beharre darauf, dass wir die Situation der Menschenrechte verbessern müssen. Unsere Politik sollte in dieser Richtung verstärkt werden. Mich aber als Hardliner zu bezeichnen, finde ich offen gesagt nicht angemessen.
Wenn Nordkoreaner es in den Süden schaffen, bekommen sie viel geschenkt, aber so richtig integriert sind sie nach wie vor nicht. Ist es auch Ihre Aufgabe, das zu verbessern?
Wir haben derzeit rund 30.000 Nordkoreaner in Südkorea, die zu unserem System übergelaufen sind. Die Regierung bemüht sich so viel wie möglich, sie zu unterstützen. Wir bieten Wohnungen, ein Studium und Hilfen für einen Alltag an. Aber auch ich habe gehört, dass sich viele diskriminiert fühlen. Da muss die ganze koreanische Gesellschaft etwas tun, besonders wichtig ist deshalb Bildung. Aber ganz konkret haben wir festgestellt, dass viele Nordkoreaner bei ihrer Ankunft unter einem Trauma leiden. Sie kommen oft über China oder Südostasien ins Land und haben auf diesem Weg schlimme Dinge erlebt. Deshalb haben wir eine Einrichtung für Trauma-Behandlung eröffnet, ein Therapie-Center.
Wie lange wird es dauern, bis ich diese Reise buchen kann, die neun Tage dauert: 3 Tage Pjöngjang, 3 Tage Seoul, 3 Tage Jeju.
Alles hängt dafür von unserem besseren Austausch ab. Derzeit ist der Kontakt mit Nordkorea fast unmöglich, das liegt aber nicht an uns. Nordkorea war drei Jahre lang wegen Corona komplett abgeschlossen. Außerdem hat das Regime im Jahr 2020 unser Büro für binationale Gespräche bombardiert. Unter solchen Umständen ist es schwierig, mit Nordkorea ins Gespräch zu kommen.
Die Antwort auf diese Frage ist einfach. Sie lautet: Nein, ich beuge mich nicht. Das ist klar.