Bürgermeister in Sachsen: „Wir hatten hier keine ‚Naziaufzüge‘, sondern Montagsdemos“

Bürgermeister Glashütte (Kittel)

Wenn ein Sattelschlepper durch Glashütte donnert, den bewaldeten Hügel hinab in das enge Flusstal, kann es minimale Erschütterungen in den vielen Uhrenmanufakturen geben. Sven Gleißberg erzählt von den feinen Messungen, die im Ort durchgeführt werden, in dem alles etwas empfindlich ist. Gleißberg, der aus Dresden stammt und früher bei der Sparkasse arbeitete, ist seit dreieinhalb Jahren Bürgermeister. Glashütte ist für seine Präzisionsuhren weltberühmt. Politisch ist die Gegend eine Hochburg der AfD.

Zum Termin erscheint Gleißberg im blauen Anzug und mit einer Vintage-Uhr aus Glashütte, ein Modell, das auch im Uhrenmuseum im Zentrum des Ortes zu finden ist. Er spricht sehr deutliches Sächsisch und verliert in keinem Moment während der fast drei Stunden seine freundliche Angespanntheit.

Siebter Teil unserer Serie „Der Osten und seine Bürgermeister“: Sven Gleißberg, 40, parteiloser Bürgermeister von Glashütte, Sachsen, Landkreis Sächsische Schweiz -Osterzgebirge.

Herr Gleißberg, kürzlich hat der Spiegel Ihrer Stadt ein Porträt gewidmet, wie kam der Bericht hier an?

Ich fand positiv, dass sich ein Redakteur wirklich mal die Zeit genommen hat, Land und Leute hier in unserer schönen Heimat kennenzulernen. Sicherlich nicht nur ich werde des Öfteren mit der Frage konfrontiert: „Werden bei Ihnen Uhren von Nazis zusammengebaut?“ Die Reportage konnte, glaube ich, einen guten Einblick geben, dass es hier viel mehr und vor allem auch sehr viel Positives zu berichten gibt. Persönlich freue ich mich natürlich, dass sich der Redakteur am Ende auch ein Stück weit in Glashütte verliebt hat. Vielleicht geht Ihnen das ja nach unserem Gespräch und dem gemeinsamen Rundgang genauso.

Hatten Sie denn viel schlechte Presse?

Ich kann mit Stolz sagen, der Name Glashütte ist auf der gesamten Welt bekannt. Ich bin seit knapp drei Jahren im Amt als Bürgermeister, und verschiedenste Redakteure, auch internationaler Medien, waren in den letzten Monaten bei mir. Da ist es schon schade, wenn mehr über gewisse Parteien berichtet wird als über unsere schöne Heimat und über das, wofür wir eigentlich stehen: erstklassige Handwerkskunst, und das seit fast 180 Jahren!

Glashütte in Sachsen: Manufakturen für Präzisionsuhren, aber kein SupermarktMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Da sind wir schon bei der AfD. Was sagen Sie zum Wahlergebnis in Sachsen?

Ich bin zunächst einmal sehr dankbar, wie gut die Wahl organisiert wurde. Die mit 78 Prozent hohe Wahlbeteiligung in Glashütte und seinen Ortsteilen ist ein positives Zeichen für eine lebendige Demokratie, die wir alle sehr schätzen und pflegen. Was das Wahlergebnis betrifft, kam es nicht wirklich überraschend.

Was heißt das Ergebnis für Ihre Kommune?

Das ist noch nicht absehbar. Wir hoffen auf eine zügige Regierungsbildung und erwarten, dass die Bedürfnisse der Kommunen, insbesondere im ländlichen Raum, in der zukünftigen Landespolitik berücksichtigt werden.

AfD in Sachsen: „Nicht jeder, der sie wählt, ist ein Nazi“

Wie sind denn Ihre Erfahrungen mit der AfD vor Ort?

Zuerst: Ich würde diese Partei persönlich nicht wählen und sehe Teile ihrer Aktivitäten und auch handelnder Akteure kritisch. Ich bin aber auch gegen das pauschale Urteil: „Jeder bei der AfD ist rechtsextrem, oder jeder, der die AfD wählt, ist ein Nazi.“ Wir haben hier in Glashütte keine „Naziaufzüge“. Wir hatten Ende 2021, Anfang 2022 Montagsdemonstrationen wegen Corona, ja. Auch mit diesen Teilnehmern kam ich ins Gespräch, und wir haben uns sachlich zu unseren Positionen ausgetauscht. Wenige Wochen später wurden diese Demonstrationen auch bis zum heutigen Tag eingestellt.

Das klingt, als machten Sie es wie Michael Kretschmer, der auch den persönlichen Kontakt mit Gegnern selten scheut.

Das habe ich mir aber nicht von ihm abgeguckt, so ist mein Naturell, so bin ich schon immer. Bürgernähe ist mir wirklich ein wichtiges Anliegen. Unser Zusammenleben hier in den 16 Ortsteilen ist vor allem durch die zahlreichen Vereine geprägt. Mehr als 70 sind das – Schützenvereine, Sportvereine, Heimat- und Kulturvereine, querbeet. Alle tragen etwas für das Miteinander bei. Dafür wünsche ich mir noch mehr Wertschätzung.

Wollten Sie schon immer Bürgermeister werden?

Nein, ich war aber schon immer politisch interessiert, hatte mich auch ehrenamtlich in Vereinen eingebracht und eine eigene Wählervereinigung gegründet. Ziel war es, den Bürgern eine parteiunabhängige Alternative zu bieten. Denn worum geht es hier auf kommunaler Ebene? Um Kitas, um Straßen, um Schulen, um Grünflächen, Winterdienst, Feuerwehren und vieles, vieles mehr.

Da ist doch Glashütte gut aufgestellt, oder?

Wir haben nahezu Vollbeschäftigung, unsere Kommune ist wirklich leistungsstark. Wir sanieren gerade eine Kita und bauen ein neues Feuerwehrgerätehaus für jeweils rund drei Millionen Euro sowie ein neues Vereinshaus für knapp eine Million Euro. Im nächsten Jahr fangen wir an, eine weitere Kita für knapp fünf Millionen Euro neu zu bauen. Und wir haben in den letzten Jahren auch schöne Spielplätze gebaut.

Warum wählen trotzdem so viele die AfD?

Es gibt sicherlich verschiedene Beweggründe. Häufig hört man, dass überregionale Themen oder Entscheidungen aus Berlin oder Brüssel eine wesentliche Rolle spielen. Wenn ich auf die letzten Jahre schaue, war die AfD hier bei uns nur wenig aktiv, hat kaum Anträge eingebracht und auch in Bezug auf die neue Legislatur keine klaren Ziele formuliert.

Liegt es daran, dass die Bürger auf die Dinge blicken, die in Glashütte fehlen? Es gibt kein Schwimmbad, keinen Supermarkt, kein Hotel.

In Bezug auf das Schwimmbad gab es bei uns die gravierenden Hochwasser 2002 und 2013. Das ehemalige Schwimmbad befindet sich nun im Anstauraum des neu entstandenen Hochwasserrückhaltebeckens, sodass es an dieser Stelle nicht wiedererrichtet werden konnte. Zum damaligen Zeitpunkt gab es Fördergelder für einen Neubau, doch leider konnte durch Streitigkeiten über einen Alternativstandort keine Einigung erzielt werden. Eine spätere Initiative für den Bau eines Naturbades in Glashütte wurde in einem Bürgerentscheid mehrheitlich abgelehnt – eine Entscheidung, die sowohl von der Verwaltung als auch von den Bürgern respektiert werden muss. Aber es gibt Themen, die sind mit Geld nicht zu lösen.

Bürgermeister Gleißberg: „Die AfD fällt hier nicht durch innovative Ideen auf.“Markus Wächter/Berliner Zeitung

Fehlender Supermarkt: „An unserer Arbeit im Rathaus liegt es nicht“

Sie meinen den Edeka? Der wurde vor zwei Jahren geschlossen, und seitdem hat Glashütte keinen Lebensmittelmarkt.

Richtig, unsere Bürger müssen in den benachbarten Ortsteil fahren. Nach der Schließung des Marktes gab es Gespräche mit Eigentümern verschiedener Grundstücke, die aber leider gescheitert sind. Wir haben zehn Lebensmittelanbieter angefragt, neun würden sofort einen Markt eröffnen. Es liegt schlichtweg am fehlenden Platz. Wir sind in intensiven Gesprächen; was uns derzeit noch fehlt, ist die Unterschrift für die Verlängerung eines Pachtvertrages. Aber auch ein meines Erachtens sehr, sehr gutes Kaufangebot für ein Grundstück wurde unterbreitet, aber bisher ausgeschlagen.

Da steht man als Bürgermeister ein bisschen in der Schusslinie?

Anfangs sollte ich der Buhmann sein, und mir wurde unterstellt, ich tue nichts. Das ganze Gegenteil war der Fall. Dann gab es auch noch das Transparent: „Warum steht die Zeit hier still? Glashütter fordern einen Einkaufsmarkt!“ Ich hätte ja auch gern eine Unterschriftenaktion gemacht, aber das fordern allein bringt es ja nicht. Am Ende konnten wir nur vermitteln und das Vertrauen herstellen. Aktuell liegt es zumindest nicht an unserer Arbeit im Rathaus und auch nicht an Edeka.

Von Ihrem Büro aus blicken Sie auch auf Geschäfte, die schon da sind.

Einige ist uns glücklicherweise erhalten geblieben, ja. Da wären eine Post, ein Kindermodeladen, zwei Bäcker, ein Fleischer und ein Florist, ein Elektro- und ein Buchladen, mehrere Boutiquen und ein kleines Restaurant sowie mehrere Bistros, in denen man gut essen kann. Klar, früher gab es noch mehr Geschäfte und Gaststätten, aber früher haben auch mehr Menschen hier gewohnt.

Hat die AfD zu solchen Themen hier Vorschläge?

Die AfD fällt hier nicht durch innovative Ideen auf. Auf ihren Plakaten und Flyern waren schon immer mehr Slogans, die nichts mit dem Ort hier zu tun hatten. Und auch aus meiner Arbeit der letzten drei Jahre, in denen ich selbstverständlich auch mit den Stadträten von der AfD zusammengearbeitet habe, ging es nie aktiv um Themen zur Entwicklung von Glashütte.

Sie haben vor dreieinhalb Jahren gegen einen AfD-Kandidaten gewonnen.

Ja, ich bin im Oktober 2021 mit knapp sechzig Prozent gewählt worden. Nach der Wahl hat mich selbstverständlich interessiert, wer die rund vierzig Prozent waren, die im zweiten Wahlgang für den Kandidaten der AfD gestimmt hatten. Schließlich bin ich doch Bürgermeister aller Glashütter und möchte auch im Sinne aller Bürger unsere schöne Stadt weiterentwickeln. Bisher hat sich aber noch keiner geoutet, und alle sagen, sie hätten mich gewählt. Kann ja so nicht ganz stimmen.

Geht das, anonym bleiben in einem kleinen Ort?

Also ich arbeite absolut transparent und bin meines Erachtens ein Bürgermeister zum Anfassen. Aber in sozialen Medien sind manche Nutzer auch mit Fake-Accounts unterwegs. Na ja, bei einigen Decknamen weiß ich aber schon, wer dahintersteckt. Prinzipiell versuche ich, auf alle Nachrichten und Kommentare einzugehen, auch auf Anfeindungen im Netz. Ich lösche prinzipiell auch keinen Kommentar und pöbele selbstverständlich nie zurück, sondern antworte stets sachlich und auf Augenhöhe. So wie es eigentlich für jeden selbstverständlich sein sollte.

Sie bekommen keine Hasskommentare?

Wenn Sie meine Frau fragen würden, die würde Ihnen sagen, ich sollte schon mal etwas zur Anzeige bringen. Beispielsweise schrieb einmal jemand: „Da zieht sich die Schlinge für den Bürgermeister langsam zu.“ Ich bin da aber nicht empfindlich, alles gut.

Sie haben keine Partei im Rücken. Hilft das, weil Sie sich nicht bei bundesweiten Themen wie Einwanderung oder Gendersternchen positionieren müssen?

Also ich musste auch in der Verwaltung entscheiden, ob ich mit „Sternchen“ kommuniziere. Für mich gibt es bei Stellenausschreibungen männlich, weiblich, divers und ansonsten gibt’s Mann und Frau. Punkt. Und sonst will ich im Stadtrat auch keine bundespolitischen oder europäischen Themen diskutieren. Das funktioniert bei uns mittlerweile auch ganz gut.

Und was ist schwieriger ohne Partei?

Als reiner Alleinkämpfer kann niemand etwas erreichen in der Politik. Wenn es beispielsweise um die Verbesserung der Anbindung an den regionalen Verkehrgeht, brauchen Sie zwingend Kontakte und das Netzwerk in die Landes- und die Bundesebene, um Unterstützung und auch Fördermittel zu erhalten.

Was wünschen Sie sich für Glashütte für die kommenden Jahre?

Ich würde mir sehr wünschen, dass wir uns trotz der vielleicht unterschiedlichen politischen Ansichten nicht spalten lassen. Ich höre manchmal aus dem Vereinsleben, dass es dort zu politischen Diskussionen und Streitereien kommt, die letztlich vielleicht in Ausstiegen enden. Das finde ich sehr bedauerlich. Ich habe im Freundeskreis auch Menschen, von denen ich weiß, sie wählen die CDU, die Grünenoder die Linke, und sicherlich habe ich auch Freunde, die wählen AfD. Sie gehören trotzdem weiter zu meinem Freundeskreis, da es abseits vom politischen Diskurs viele weitere Themen gibt und das persönliche Miteinander viel wichtiger ist.