Auf der Suche nach dem großen Berlinale-Moment für dieses Jahr

Berlinale 2023

Im Pandemie-Jahr 2020 saß ich kurz vor dem ersten positiven Corona-Test in Berlin mit vier anderen Journalisten in einem Raum und „schaute“ einen Film, der fast nur aus schwarzer Leinwand bestand. Der Film „Expedition Content“ behandelte eine Reise von Anthropologen nach Papua, aber deren Filmmaterial verbrannte in den 1960er-Jahren zu 95 Prozent. Die Audio-Dateien waren noch da und wurden 60 Jahre später zu einem Film zusammengeschnitten, die Untertitel sind in der Mitte der schwarzen Leinwand zu lesen. Damals verstand ich nicht, was die Kuratoren bewegte, diesen Quatsch auf einem Filmfestival anzubieten.

Aber seitdem habe ich so oft davon erzählt, dass ich es inzwischen ziemlich Rock ‘n’ Roll finde, diesen „Film“ aufzuführen. Bei jeder Berlinale gibt es für mich im Rückblick einen dieser ganz besonderen Momente, von dem ich noch Jahre zehre. Ich weiß noch, als ich 2004 den Film „Before Sunset“ im Berlinale-Palast sah und umringt war von Menschen, die weinten, laut oder leise. Ich wusste in dem Moment, dass ich die Filme von Richard Linklater immer im Kino sehen möchte, in Gemeinschaft von Menschen, die gerade das Gleiche durchmachen wie ich. „Boyhood“ und „Before Midnight“ liefen dann auch auf der Berlinale und wurden zu „Momenten“ für mich.

Ich weiß noch, wie ich auf der Berlinale 2009 dann „Alle Anderen“ von Maren Ade gesehen habe, wieder im Berlinale-Palast, und wie ich damals Hoffnung schöpfte, dass der deutsche Film so viel Gutes vor sich hat. Ich habe ihn dann noch einmal auf derselben Berlinale angeschaut, was ich davor und danach nie mehr getan habe. Und ich bin in die Videothek, um mir „Der Wald vor lauter Bäumen“ auszuleihen, ihr großartiges Debüt. Keiner hat Cringe-Momente so gut einfangen können wie Maren Ade.

Auf dieser Berlinale hatte ich am Dienstag meinen „Moment“. Ich kam gerade etwas gehetzt vom Kino International und wusste nicht, ob ich überhaupt noch Lust hatte auf einen weiteren Film – ausgerechnet Hong Sangsoo, der Regisseur, der immer sehr langsame Filme macht, voller Cringe-Momente, wie Maren Ade. Es geht immer um Menschen, die Angst vor Misserfolg haben und deshalb sehr unsicher auftreten.

Das Besondere am Film „Mul-an-e-seo“ (Im Wasser) ist aber, dass er komplett unscharf gedreht wurde. Alles wirkt wie durch eine Milchglasscheibe gefilmt, die Gesichter sind nur helle Flecken, das Meer im Hintergrund ist nur eine blaue Fläche und die Gespräche sind so vorsichtig, als hätten die Protagonisten Angst, ihr Gegenüber werde in der nächsten Sekunde zu einem Faustschlag ausholen. Die Untertitel waren zum Glück scharf gestellt und das Wellenrauschen war die ganze Zeit ganz klar. Berlinale heißt für mich: Ich will, dass dieser Film nie endet.