Berlin. Der Florian Schroeder, den ich treffe, trägt einen Anzug. Das ist wichtig und wird auch im Laufe unseres Spaziergangs noch eine Rolle spielen. Der Anzug steht ihm fantastisch, er könnte damit in dem neuen Christopher-Nolan-Film „Tenet“ mitspielen und Kugeln in die Vergangenheit schießen. Oder fängt er mit der Waffe dann die Kugeln nur ein, weil sie rückwärts fliegt? Das einzige, was an Florian Schroeder als Held in diesem unironischen Welt-Retter-Film vielleicht stören würde, wäre sein Lachen. Das Lachen passt nicht ganz zum Anzug, weil es so auffällig laut ist. Und es verändert die Stimmung sofort.
Verabredet haben wir uns an der Zionskirche, jener Kirche der Helden von Berlin, die so wichtig war für den Beginn der friedlichen Revolution im Jahr 1989. Zum ersten Mal fällt mir eine Straßenlampe aus DDR-Zeiten auf, die gleich neben der Kirche steht, als zwinkere die Vergangenheit kurz in die Gegenwart. Aber inzwischen ist die Zionskirche ein Ort im hippsten Teil Berlins und hat neulich auch einen „Star Wars“-Gottesdienst veranstaltet. Wir haben uns für diesen Treffpunkt entschieden, weil wir beide morgens nicht zu weit fahren wollten – zumal für diesen Tag der BVG-Streik angekündigt ist und uns ohnehin alle Pläne verdorben hätte.
Schroeder kommt mit einem Rad, das er, wie er sagt, seit 15 Jahren besitzt. Es hat 21 Gänge und Metallic-Look. Als er abgestiegen ist, wirkt das Rad fast zu zierlich für den 1,93-Meter-Mann. Da unser Fotograf gleich weiter muss, will er schnell die Bilder machen. Als Profi war er schon vorher zur Kirche gekommen, um die Gegend zu erkunden: Welches Graffito (ein trauriger Clown?), welche Restaurantdekoration (eine indische Kuh?), welche schmuddelige Hauswand passt am besten und drückt die Stimmung eines der bekanntesten Comedians Deutschlands aus, der gerade ziemlich viel um die Ohren hatte?
Florian Schroeder hat gerade mit seinem Kollegen Serdar Somuncu einen neuen Podcast gestartet. Die erste Folge war drei Stunden lang. Sie redeten über alles, was derzeit so um uns passiert und auf Twitter gute Hashtags bringen würde: #Trump, #Klimawandel, #AFD, #Bildzeitung. Irgendwann beim Thema #Feminismus bogen die beiden falsch ab, ein unschönes Wort fiel, Schroeder lachte sehr laut darüber. Schroeder entschuldigte sich auf Twitter für sein Gelächter. Der Sender RadioEins entschuldigte sich ebenfalls, und die beiden Comedians willigten ein, den nächsten Podcast vorher zur Abnahme vorzulegen. Die zweite Folge dauerte nur noch eine Stunde und behandelte zu einem Drittel nur die Probleme mit der ersten Folge – zurecht.
Während die beiden Fotos machen, halte ich den Boss-Mantel von Florian Schroeder in der Hand. In seiner Innentasche vibriert es unaufhörlich. Ich habe mein Telefon zum Glück auf Flugzeug-Modus gestellt, damit wir ungestört sind. Er wird einmal kurz ans Telefon gehen, ansonsten wird er das Brummen auch später ignorieren.
Als wir loslaufen, reden wir zunächst über den Humor an sich, und das heißt: über die Kollegen. Florian Schroeder sagt, dass die US-Komiker mag: „Seth Meyers, Stephen Colbert sind super, nur Jimmy Fellon ist mir ein bisschen zu seicht manchmal.“ Schon vor Jahren hat er David Letterman geschaut, aber er findet auch, dass Deutschland einiges an guter politischer Comedy zu bieten hat: Die „Heute-Show“ und „Extra-3“ schaut er regelmäßig. „Schon allein, um zu sehen, was die Kollegen gerade so machen.“ Da sei viel Gutes dabei. „Aber es ist eben ein Abbild der Arbeit“, sagt er, „da sind mal geniale Ideen dabei, aber egal wie geil die Sendung oder wie geil das Team ist, man kann nicht immer das Maximum herausholen.“ Dann sagt er einen Satz, bei dem ich später zu Hause googeln muss: „Kahnemann nennt das die Regression zum Mittel.“
Daniel Kahnemann ist ein 86 Jahre alter israelischer Psychologe mit Alfred-Nobel-Gedächtnispreis, der eine mathematische Rechenformel auf das Zwischenmenschliche anwendete. Wörtlich sagt Kahnemann in seinem Buch „Schnelles Denken“: „Weil wir dazu tendieren, Menschen, die uns gefällig sind, freundlich zu behandeln, während wir zu denen, die es nicht sind, gemein sind, werden wir aus statistischen Gründen dafür bestraft, nett zu sein, und dafür belohnt, gehässig zu sein.“
Florian Schroeder hat Philosophie und Germanistik studiert. Er erzählte auf der Bühne in seinen Solo-Programmen mit Mitte 20, dass er oft gefragt werde, was er mit diesem Studium machen wolle. Er antwortete: „IMM, irgendwas mit Medien“. Er konnte schon damals Politiker wie Michael Glos, Franz Josef Jung und Horst Köhler so gut nachmachen, dass er immer wieder eingeladen wurde. Seine Bühnenperson sah ein bisschen aus wie Oliver Pocher mit Strubbelfrisur. Schon da, Anfang der 2000er-Jahre, sagte er: „Der Privatmensch Florian Schroeder gibt keine Interviews, ich habe mich als Kunstfigur neu erfunden, das ermöglicht es mir, privat dahinter zurückzutreten.“
Wir laufen die Kastanienallee Richtung Norden und Schroeder murmelt „Casting Allee Alarm“. Er hat die Veränderungen hier im Bezirk mitbekommen, doch er findet ihn noch immer angenehm. An der Höhe der Sprachschule erzählt er von seiner Mutter, auch als Kunstfigur Schroeder hat er immer noch eine. Sie war Sprachlehrerin für Französisch. „Als Jugendlicher fand ich meine Mutter natürlich total uncool und hab mich geweigert, Französisch ernst zu nehmen.“ Heute wäre er ganz gern fließend in seiner „Mutter“-Sprache. Stattdessen kann er sehr gut Englisch. Ich frage, ob sie stolz auf ihn sei. Er sagt: „Ja… ja. Ja!“ Hat sie es mal gesagt? „Ja, erst neulich wieder.“
Wir laufen am Friseur „Notaufnahme“ vorbei, am veganen Vietnamesen und sind schließlich an der Ecke Oderberger Straße. Wir stehen kurz neben dem „Hotel Oderberger“, das ebenfalls zur Sprachschule gehört, die sich mittlerweile im gesamten Bezirk ausgebreitet hat. Dort ist das Restaurant „Otto“, eins der angesagtesten Restaurants der Gegend, wo regelmäßig das Who ist Who der deutschen Schauspieler sitzt. Und als hätten wir es geahnt, sitzt Schauspieler August Diehl beim Kaffee im „Barista“ nebenan. Aber wie immer ist dort eine Schlange. Wir kehren um und laufen in Richtung Mauerpark.
Florian Schroeder sagt, dass er in der Öffentlichkeit „umsichtiger“ geworden sei. „Es könnte ja theoretisch gleich jemand bei Twitter schreiben: Schroeder, die Sau, drängelt sich wieder vor.“ Das sei so der allgemeine Ton gerade. „Drunter geht’s ja nicht mehr.“ Ihn störe das. „Mir gefällt auch manches nicht, aber ich kann doch nicht immer gleich den sozialen Tod von einem Künstler fordern.“ Andererseits schlage die Twitter-Meute immer genau dann zu, wenn man es nicht vermute. „Wenn man aber anfängt, permanent darüber nachzudenken, wie ein Satz jetzt negativ interpretiert werden könne, fängt man an, sich zu beschneiden.“
In dem Moment kommt ein Fahrrad von hinten auf dem breiten Fußweg – und klingelt. Ich sage, dass mich das wirklich aufregt. Die Straße ist immerhin frei, und mich als Fußgänger aus dem Weg zu klingeln, und Schroeder? Lacht! Sehr laut und sehr authentisch. „Dann geh doch zurück nach Stuttgart!“ Dabei ist er derjenige, der aus Baden-Württemberg nach Berlin gezogen ist. Er sei sowieso dafür, sich seltener aufzuregen und mehr mit den Menschen zu reden.
Er hat das getan: Vor einigen Wochen stand er auf der Demonstration von „#Querdenken“ in Stuttgart und sprach dort eine Viertelstunde, von Buhrufen begleitet. Er war eingeladen worden, weil einer seiner Sketche, in dem er sich über Verschwörungstheorien lustig machte, falsch verstanden worden war. Er aber nutzte die Gelegenheit, um genau diesen Demonstranten eine Nachricht aus der realen Welt zu senden: „Freiheit ist nicht Verantwortungslosigkeit und die Maske in engen Räumen abzuziehen ist verantwortungslos!“ Der Auftritt hat bis heute über acht Millionen Klicks bekommen.
Obwohl er seit Jahren erfolgreich „Satireshow“ in der ARD und die „Spätschicht“ im SWR moderiert, hat er selten so viel Rückmeldung für einen Auftritt bekommen. Dabei trug er auch wieder einen Anzug, seine Arbeitsuniform. Ich frage mich, mit welchem Florian Schroeder ich gerade zusammensitze. Doch er lässt an der einzig richtigen Antwort keinen Zweifel: „Ich bin der Überzeugung: In dem Moment, wenn ich als Comedian einen öffentlichen Raum betrete, spiele ich eine öffentliche Rolle.“ Diese könne manchmal mit seiner privaten Person Florian Schroeder identisch sein, muss aber nicht. „Es ist tatsächlich so ein Missverständnis der Gegenwart, dass alle glauben, alles muss immer authentisch sein.“ Bei ihm sei es eben zum Teil authentisch, zum Teil auch nicht. Was bei Auftritten wichtig sei, sei die Überzeugungskraft der Argumente.
Am leichtesten kann man das wohl erklären mit dem US-Komiker Sacha Baron Cohen, der sich aber die Rollen „Ali G“, „Borat“ oder „Brüno“ überzieht oder Ilka Bessin, die vor allem als „Cindy von Marzahn“ bekannt war. Schwieriger wird es bei Menschen, die ihrer Kunstfigur den gleichen Namen geben. Der Ostberliner Komiker Rolf Herricht hat immer darunter gelitten, dass er in der Öffentlichkeit aufgefordert wurde, Witze zu machen. Auch Mario Barth hat sicher nicht immer Lust, Witze über seine Freundin zu machen. Florian Schroeder macht politische Satire und hat eine private Meinung zu Trump, dem Brexit und der Coronakrise, die er aber auf der Bühne in Worte zuspitzt, die er privat vielleicht differenzierter äußern würde.
Mittlerweile sind wir am „Bonanza Coffeehouse“ angekommen, ein kleines Café gegenüber der ältesten Feuerwache Berlins. Es steht in jedem koreanischen Reiseführer, weil es in Seoul ebenfalls eine Dependance gibt. Jetzt im Herbst erkennt man sie an den eleganten Mänteln, die bis zu den Schuhen reichen. Schroeder möchte einen kleinen Cappuccino, den ich auf Englisch bestellen muss, weil die Bedienung sagt, ihr Deutsch sei „rusty“, eingerostet. Er sagt „röstü“, was ihn als Franzosen ausweist. Wir setzen uns an die Straße und schauen den vorbeifahrenden Müttern mit Kinderwagen zu.
Er mag diese Gegend von Berlin, die sich für ihn trotz Gentrifizierung noch einen Charakter bewahrt habe. „Ich glaub, ich hab die wirklich krasse Zeit mit Ofenheizung nicht erlebt.“ Er zog 2005 nach Friedrichshain, in eine Wohnung, die auf ein Dach aufgesetzt wurde. „Ich war also im Grunde schon der klassische Schwabe, genieße es aber immer sehr, hierher zurückzukommen.“ Ihn nerve nur die Gleichgültigkeit, die in der Stadt herrscht. „Für manche ist die Stadt nur eine Durchgangsstation, und sobald sie 35 sind und zwei Kinder haben, ziehen sie in ein Häuschen in Brandenburg oder nach Hamburg.“
Ein Gegenteil von dieser Gleichgültigkeit fällt uns an einem Stromkasten auf: Auf einem Zettel wird ein Tim vermisst, Vater von zwei Kindern. Seit dem 23. September ist er verschwunden. Er trug ein graues Sweatshirt, blaue Trainingshose, Flipflops. Die Webseite wirsuchentim.de wurde eingerichtet.
Florian Schroeder und ich reden darüber, was wohl passiert sein kann. Und das ist einer der Augenblicke, in denen er keine Bühnenperson sein muss. Weil es dem Politiksatiriker egal sein kann, was hinter einer Vermisstenanzeige am Straßenrand steckt. Wir reden darüber, dass die vergangenen Monate Spuren auch bei uns hinterlassen haben, im Freundeskreis, bei Gewohnheiten.
Ähnlich wie der Pianist Igor Levit hat er sich für das entschieden, was er am besten kann: Er hat sein Telefon aufgestellt und auf Aufnahme gedrückt, jeden Tag. Diese Erfahrungen tauchen zum Teil in seinem neuen Programm auf, das er „Neustart“ genannt hat, mit dem er am 8. Oktober in den Wühlmäusen auftritt. Vorhang auf für den einzig wahren, authentischen Florian.
Erschienen in der Berliner Morgenpost am 4. 10. 2020