Bushido sagt gegen Arafat Abou-Chaker aus: „Ich habe meine Hausaufgaben gemacht“

Stephanie Scholz / BLZ

Es heißt immer, Deutsch sei so eine harte Sprache. Wenn der Dolmetscher im Saal 500 des Landgerichts Moabit von Arabisch auf Deutsch übersetzt, klingt unsere Sprache im Vergleich plötzlich sehr weich. Das kann an der hohen Stimme des Übersetzers liegen. Er ist Mitte 40, trägt eine cremefarbene lange Hose und ein dunkles Hemd. Seine schwarz-grauen Haare sind zu einem modernen manbun hinten zusammengebunden.

Das Repertoire der arabischen Sätze, die er übersetzen muss, ist im Grunde recht beschränkt. Wir lernen, dass „Aksam bi Allah“ bedeutet: Ich schwöre bei Gott. Wenn es schnell gehen muss, sagen Araber in Berlin auch „Wallah“. „Aleikum Salam“ heißt „Friede sei mit dir“, und ein „Fetna-Mensch“ ist laut Übersetzer „jemand, der Zwietracht sät“. Einmal fragt der Vorsitzende Richter den Übersetzer, ob er das Wort „Kühlschrank“ in der Audio-Aufnahme gehört habe. In der schriftlichen Übersetzung des Audio-Bandes stand dieses Wort. Der Mann verneint. Nichts mit Kühlschrank. Dafür lernen die Zuhörer noch ein arabisches Sprichwort. Es lautet: „Wenn du wütend bist, solltest du besser schweigen.“

Streng genommen sitzen alle hier in diesem Saal, weil einige dieses Sprichwort nicht beherzigt haben. Seit fast genau zwei Jahren nehmen Woche für Woche dieselben Menschen an diesem Prozess in genau dem Saal teil, in dem schon Honecker und der Hauptmann von Köpenick verurteilt wurden: der Angeklagte Arafat Abou-Chaker und seine drei Brüder Yasser, Rommel und Nasser, der Nebenkläger Anis Ferchichi, den ganz Deutschland unter seinem Künstlernamen Bushido kennt, die Oberstaatsanwältin Petra Leister und der Vorsitzende Richter Martin Mrosk sowie noch weitere Mitglieder der Kammer, sieben Anwälte und rund zehn Journalisten.

Am Montag, den 17. August 2020, begann dieser Prozess gegen Arafat und seine Brüder. Und am Montag, den 15. August 2022, ist noch immer kein Ende in Sicht.

Im Kern geht es darum, dass Bushido nach 17 Jahren Freundschaft seine Beziehung zu seinem Manager und Mentor Arafat Abou-Chaker abbrechen wollte. Der jedoch hatte mit dem Rapper eine lukrative Einnahmequelle, weil er ihm rund 30 Prozent seiner Einnahmen abgab. Das geschah laut Aussage Bushidos nicht freiwillig.

Überhaupt beschreibt der Rapper das Verhältnis als Zwangsehe. Als Bushido dann seine jetzige Frau, die inzwischen achtfache Mutter Anna-Maria Ferchichi, kennenlernte, gefiel das wiederum Arafat nicht. Und laut Bushido forcierte das die geschäftliche Trennung. Doch wer als Gangsterrapper auftritt, der braucht auch einen Gangster im Rücken. Es kam zu jenem großen Streit am 18. Januar 2018, dem Tag, an dem die vier Abou-Chakers laut Anklage den Rapper beleidigten, nötigten, verletzten, bedrohten und einsperrten.

An diesem Montag, dem 77. Prozesstag, nun wird ein Band vorgespielt, das – so behautet das Magazin Stern – am Abend des großen Streits entstanden sein soll. Während die rund zweistündige Audiodatei sekundenweise abgespielt wird, sorgt ein Übersetzer dafür, dass die arabischen Passagen von allen im Saal auch wirklich verstanden werden. Der Übersetzer lässt die Aufnahme mit Handzeichen unterbrechen und spricht dann die Übersetzung in ein Mikrofon: Wallah, Fetna, Salam.

Die Gespräche auf dem Band sind schwer zu verstehen, auch die deutschen Passagen. Es gibt viele Störgeräusche und Knacklaute, mal schnäuzt sich jemand laut die Nase, mal klingt es so, als würde jemand sehr tief einatmen, wie durch ein Röhrchen. Die Gespräche finden vor allem zwischen Arafat Abou-Chaker und Bushido statt, die sich nicht einig sind, wie es weitergehen soll mit ihnen. Manchmal spricht zwischendurch Nasser Sätze, die beschwichtigen sollen. Sätze wie: „Lass ihn ausreden.“ Nicht immer ist klar, wer beruhigt werden soll. Yasser ist oft aufgeregt, ruft Beleidigungen in das Gespräch. Rommel ist nicht zu hören.

Arafat: Verfickt seien die Geschäfte. Warum hast du mich aussortiert (…), ich will wissen, warum?
Bushido: Arafat, das hat nichts mit Aussortieren zu tun. Du weißt genau, wir hatten unsere Differenzen gehabt, ja? (…)
Arafat: Ich habe doch dir eine Frage gestellt.
Bushido: (…) Wir haben uns gestritten, wir hatten uns in den Haaren gehabt, wir haben seit fünf Jahren nur Rennereien mit Anwälten.
Arafat: Das hat doch nichts damit zu tun.
Bushido: Doch, doch, doch. Nein, nein, nein. Stopp! Stopp! (…)

Das Zuhören ist sehr ermüdend. Wer im Saal um sich blickt, kann immer wieder beobachten, wie Zuhörern die Augen zufallen, wie Köpfe nach vorn kippen. Das mag auch am Klima liegen, die Sonne scheint an diesem Sommertag (29 Grad) in den Saal im ersten Stock, und trotz Stoßlüften steht die Luft. Der Richter hat den Robenzwang aufgehoben, die Anwälte tragen pink, hellblau und weiß, der Richter selbst einen weißen Schlips auf einem weißen Hemd, die Oberstaatsanwältin versteckt ihr rosa Sommerkleid unter der Robe. Bushido hat seine Schuhe ausgezogen und lehnt sich sehr weit zurück beim Zuhören. Auf etlichen Männerhemden sind unter den Achseln Schweißringe zu sehen.

Arafat schüttelt bei manchen Übersetzungen den Kopf. „Das stimmt nicht“, ruft er einmal in den Saal. „So ein Quatsch!“ Der Übersetzer bleibt sehr ruhig, dreht sich nicht zum Angeklagten um und sagt in das Mikrofon: „Ich bitte darum, dass ich nicht gestört werde und auch nicht eingeschüchtert werde.“ Immer wieder hat in den vergangenen zwei Jahren der Richter den Angeklagten zur Ordnung rufen müssen, heute ist wieder so ein Tag. Arafat hält sich im Folgenden mehr zurück, schaut nur immer wieder irritiert, wenn der Übersetzer seine Arbeit macht.

Obwohl die Audiodatei jetzt komplett als Beweisstück in den Prozess eingeführt wird, ist noch nicht klar, ob sie überhaupt etwas Wichtiges beiträgt. Sie wird längst öffentlich angezweifelt. Da ist zunächst die Länge, die nicht der Länge des Gesprächs entspricht. Es gibt mehrere Quellen, die die Dauer des Streits vom 18. Januar 2018 auf rund vier Stunden festlegen. Die zugespielte Aufnahme dauert nur eine Stunde und 58 Minuten. Außerdem bricht sie am Ende etwas unvermittelt ab, und auch inhaltlich passen nicht alle Stellen zu einem Gespräch. So sind manchmal Geräusche zu hören, die eher aus einem Auto stammen, und bestimmte Inhalte lassen ebenfalls Zweifel aufkommen.

Der Stern hatte Anfang Februar dieses Jahres die Audiodatei exklusiv vorgestellt. Das Magazin hatte einen „unabhängigen Gutachter“ beauftragt, der noch dazu „Deutschlands renommiertester Audio-Forensiker“ sein soll. Seinen Namen wollte das Magazin im Februar nicht nennen. Bushidos Anwalt Steffen Tzschoppe hatte schon im Februar diese Datei mit den „Hitler-Tagebüchern“ in Verbindung gebracht und angedeutet, dass das Magazin einem Fake aufgesessen sei. Bei einer MP3, so der Anwalt damals, könne niemals zweifelsfrei ein Datum der Aufnahme festgestellt werden. Die Metadaten ließen sich leicht und ohne Spuren verändern.

Der Stern schrieb damals, dass auf der Datei wenig von einem Streit zu hören sei. Allerdings, das ist deutlich am Montag im Gericht, flammt auf dem Mitschnitt mehrfach eine sehr hitzige Auseinandersetzung auf, bei der auch Beleidigungen („Hund“, „Du bist scheiße“ oder „Bastard“) zu hören sind.

Der Anwalt Tzschoppe hatte bereits darauf hingewiesen, dass es Inhalte gebe, die eigentlich im Gespräch am 18. Januar hätten zur Sprache kommen müssen. Was beweise, dass es ein Mitschnitt von einem anderen Tag sein müsse.

Arafat: Ganz ehrlich? Ich habe dir nie einen Grund gegeben, der Erniedrigung (…)
Bushido: Arafat, du vermischt gerade was, Alter, sag mal, willst du … ist das gerade dein Ernst? (…) Du fängst an zu schreien, ja, du brüllst wie ein Panzer. (…)
Arafat: Was sagst du immer? Auf eine Aktion folgt Reaktion.
Bushido: Aber ist doch okay, wenn man sich anschreit, wenn man sich hochschaukelt, das ist doch beidseitig.

So geht das eine ganze Zeit lang. Ein Streit, der auf eine Gewalttätigkeit oder auf eine bedrohliche Situation hinweist, ist in der Tat nicht zu hören. Aber es bleibt eben weiter die Frage: Stammt die Aufnahme überhaupt von dem Tag des großen Streits? Warum ist sich der Stern so sicher?

Auf genau diese Fragen kommt Bushido zu sprechen, als er am Montag den Zeugenstand zum zweiten Mal betritt. Das erste Mal saß er dort 25 Tage lang und erklärte dem Saal, wie seine Karriere begann und warum irgendwann im Jahr 2012 ein riesiges Plakat auf dem Hotel Waldorf Astoria zu sehen war. Dieses Mal wird es sicher nicht so lange dauern, aber die Anwesenden haben viele Fragen.

Bushido beginnt mit der ersten Minute der Aufnahme, in der schon nach wenigen Sekunden eine weibliche Stimme fragt, ob jemand einen Espresso möchte. Er sagt noch einmal, dass er sich sicher sei, am 18. Januar 2018 nicht auf die Sekretärin getroffen zu sein. Außerdem weiß er, dass sie zu Beginn des Gespräches damals noch über zwei Themen gesprochen haben: zuerst über seine Kleidung und dann über das Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit. Das hatte am Morgen des 18. Januar stattgefunden, Arafat Abou-Chaker war das nicht recht. Auf dem Band wird es mit keiner Silbe erwähnt.

Bushido wirkt sehr sortiert an diesem Tag, obwohl er ohne seinen Anwalt, der kurzfristig ausfällt, in den Zeugenstand gehen muss. Zu Beginn des Prozesstages sagt er noch, er habe „seine Hausaufgaben gemacht“, er hat Ausdrucke von WhatsApp-Chats und E-Mails dabei, bereits in mehrfacher Ausführung für die Kammer. Auf die Anschuldigung der Abou-Chakers, er habe falsch ausgesagt, reagiert er gelassen: „Das nehme ich sportlich.“ Die bösen Blicke von der Anklagebank pariert er ruhig, spielt nur ab und zu mit seiner Maske vor dem Gesicht. Er ist einer der wenigen im Saal, die noch eine Maske tragen.

Corona hat den Prozess immer wieder gestört in den vergangenen Monaten: Arafat, Bushido, der Vorsitzende Richter, so gut wie alle Beteiligten hatten das Virus, was zu Verzögerungen führte. Die Mutter der vier Brüder ist an Covid-19 gestorben. Wegen der Beerdigung mussten auch Sitzungstage verschoben werden. Am Montag ist die Pflicht zwar aufgehoben, empfohlen wird die Maske dennoch. In der Pause sagt jemand auf dem Gang: „Ich hab Sie ohne Maske gar nicht erkannt.“

Am Ende wird es eine lang erwartete, aber sehr kurze Aussage von Bushido am Montag. Unter anderem weist er auf einen Schnitt in der 37. Minute hin. „Das könnte auf eine Manipulation der Audiodatei hindeuten“, sagt er. Um deutlich zu machen, wie man einen Schnitt besser vertuschen könne, benutzt er ein Fachwort aus der Musikwelt: „Unauffälliger wäre ein Crossfade gewesen.“ Der Richter kennt das Wort nicht und Bushido erklärt: „Auf der Datei sind plötzlich verschiedene Arten von Rauschen direkt hintereinander, das passt einfach nicht zusammen.“

Ein Sachverständiger soll Fragen wie diese und andere Ungereimtheiten klären, wenn sämtliche Zweifel an der Aufnahme zusammengetragen worden sind. Allen ist am Montag Erleichterung anzumerken, als die Anhörung der Audiodatei zu ihrem Ende kommt. Sogar ein Bruderkuss ist darauf zu hören. Zu einem großen Teil besteht die Aufnahme jedoch aus Rauschen und Kraftausdrücken. Insofern dürfte der kommende Mittwoch interessant werden, für den Stern und für die kleine Gruppe der Prozessbeteiligten. Es sind übrigens 32 Grad vorhergesagt.