Berlin. Als Bushido an einen Seiteneingang vom Club Matrix in Friedrichshain kommt, steht da auf einmal Arafat A.-Ch. „Ich war vorher noch nie in dem Club“, sagt Bushido. „Und Arafat hatte ich bis dahin auch nie getroffen.“ Er hatte vom Clan der A.-Ch. gehört, aber gesehen hatte er bis dato keinen. Es war dieser Abend im Juni 2004, als Arafat und Bushido zum ersten Mal Hände schüttelten. Auch das beschreibt Bushido vor Gericht im Detail. Und dann kam das: „Er nahm mein Kinn zwischen seine Finger und drehte meinen Kopf zur Seite.“ Er habe sich das Tattoo genau ansehen wollen.
Es wirkt, als habe ein Käufer seine Ware begutachtet. So beschreibt es zumindest Bushido im Sitzungssaal 500 des Landgerichts Berlin. Der Rap-Sänger weiß genau, wie er berichten muss, so dass es wirkt, als wohne man der Nacherzählung eines Kinofilms bei. Er habe seine Finanzen nicht gut im Blick gehabt, sagt er zum Beispiel an einer Stelle in seinem Bericht. Er habe ein „Knax-Konto“ bei der Sparkasse. Dabei wird im Laufe des Nachmittags in diesem Hochsicherheitssaal deutlich werden, was durch diese Begegnung der beiden Männer in Gang gesetzt wurde und wie es schließlich dazu kam, dass sie sich erst lange als beste Freunde bezeichneten und einander jetzt als Nebenkläger und Angeklagter gegenübersitzen.
Die Anklage gegen den 41-jährigen Clanchef Arafat A.-Ch. lautet unter anderem auf schwere räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung und gefährliche Körperverletzung. Auf diese Art habe er im Jahr 2017 Bushido, ebenfalls 41 Jahre alt, dazu zwingen wollen, die geschäftlichen Beziehungen nicht aufzulösen. Arafat habe von Bushido unberechtigt eine Millionen-Zahlung sowie die Beteiligung an dessen Musikgeschäften für 15 Jahre gefordert. Der Rapper sei bedroht, eingesperrt und verletzt worden und tritt deshalb auch als Nebenkläger auf. Die Brüder Yasser, Rommel und Nasser im Alter von 39, 42 und 49 Jahren sind als Gehilfen oder Mittäter angeklagt.
Das Gericht nimmt die Gefährdung des Lebens des Rappers offenbar sehr ernst, immerhin wird er von mehreren Sicherheitsbeamten mit Sturmmasken bewacht. Er selbst tritt locker in Sporthose, Sneakers und T-Shirt auf – und hat in den vergangenen Verhandlungstagen offenbar hinzugelernt. Deutlich spricht er ins Mikrofon und baut immer wieder Pointen ein, die das Publikum – auch dort sitzen Clanmitglieder in der letzten Reihe – mitnehmen auf die Reise in die Zeit des Beginns dieser Freundschaft.
Dabei war dieses erste Treffen im Matrix nur kurz, das zweite fand in einem Café in der Katzbachstraße statt. Dort erzählte Bushido Arafat von seinem Dilemma. Er wolle sich von seinem Label „Aggro Berlin“ lösen, und die wiederum reagierten auch auf sein schriftliches Angebot nicht. Das dritte Treffen war dann – laut seiner Darstellung – das, was die Grundlage für alles andere lieferte: Zu zweit gingen sie in das Büro von „Aggro Berlin“, und Arafat zwang die drei Chefs des Labels dazu, den Vertrag, der seit Monaten vorgelegen habe, zu unterschreiben.
Auch hier sind es wieder die Details in der Beschreibung des Rappers, die den Moment fast plastisch vor Augen führen: „Der Raum war klein, vielleicht drei Mal drei Meter, am Rand standen zwei Kinosessel, in der Mitte ein Tisch und ein Stuhl.“ Bushido habe sich in den Kinosessel gesetzt und zugeschaut, wie Arafat einen nach dem anderen so eingeschüchtert habe, dass sie unterschrieben. Als sich einer weigerte, bekam er eine Ohrfeige. Als ein zweiter meinte, die Anwälte kümmerten sich, habe Arafat nur gesagt: „Seh ich aus wie ein Anwalt, oder was?“
Die Strategie der Verteidigung wurde an diesem Sitzungstag einmal mehr deutlich. Sie versuchen, diese Aussagen angreifbar zu machen. So hatten sie bis zum frühen Nachmittag die Vernehmung aufgehalten, weil sie erneut Einsicht in alle Vernehmungen verlangten, die der Musiker und dessen Ehefrau im Zusammenhang mit dem Hauptangeklagten Arafat A.-Ch. gemacht haben. Das Gericht lehnte das ab, weil auch sie sich in dieser Verhandlung vor allem mit den Aussagen beschäftigen werden, die hier getätigt werden.
Arafats Verteidiger zitieren aus Bushidos 2008 erschienener Autobiografie. Darin beschrieb er auch das Ende mit „Aggro Berlin“, allerdings damals noch in einem anderen Licht. Während der Verhandlung sagt er, dass vieles in dem Buch vom Ghostwriter „zugespitzt“ worden sei. Schließlich habe er als Gangsterrapper auch einen Ruf zu verteidigen, und dabei sollte das Buch seinerzeit hilfreich sein. Und so ging es an diesem Nachmittag immer wieder darum, ob er vor Gericht als „Anis Ferchichi“ – so ist sein bürgerlicher Name – oder als Bushido auftrete.
Und als der hätte er sich – das ist das alles entscheidende vierte Treffen – in das Auto von Arafat A.-Ch. gesetzt. In diesem Gespräch habe er Arafat 20.000 Euro angeboten als Dank für seine Freiheit vom Label. Doch Arafat habe das nur als „Taschengeld“ bezeichnet. Bushido rechnete mit 50.000 Euro aus der Vertragsauflösung. Er hätte Arafat auch die Hälfte gegeben. Aber der wollte mehr: 30 Prozent aus allen Einnahmen. Über Jahre habe Bushido dem Clanchef beteiligt, während er den vollen Betrag versteuern musste. Der Clanchef sitzt am Rand und schüttelt den Kopf. Am Mittwoch wird die Verhandlung fortgesetzt.
Erschienen in der Berliner Morgenpost am 1. 9. 2020.