Coldplay in Berlin: Feuerwerk, Konfetti und ein ukrainischer Kinderchor

Coldplay, A. Göttnitz

Nach fast zwei Stunden unterbricht Chris Martin das Konzert. Das fast ausverkaufte Berliner Olympiastadion leuchtete gerade im Wechsel ganz in Gelb, Violett und Rot, Chris hat soeben noch „My Universe“ gesungen, jenen Hit, den seine eigene Band Coldplay mit der südkoreanischen Band BTS produziert hatte. Plötzlich unterbricht er seine Band und hält die Hand nach oben. Für einen Augenblick ist nicht klar, ob er mit dem Sound nicht zufrieden ist (das Mikro ist tatsächlich hier und da übersteuert) oder ob er sich um einen Zuschauer sorgt: Am Rand des Stadions fährt zu diesem Zeitpunkt gerade ein Krankenwagen auf das Gelände.

Vielleicht will der Sänger auch einfach einen harten Break, so wie eine plötzliche Pause in einer Beethoven-Sinfonie die Zuschauer aufschreckt. Denn er hält plötzlich eine kleine Rede, in der er noch einmal allen hier im Stadion bewusst machen will, was sie hier gerade erleben: „Diese Gruppe von Menschen wird nie wieder so zusammenkommen, bitte steckt jetzt alle Eure Telefone weg und genießt diesen Augenblick.“ Dann singt er das nächste Lied, das übrigens wie viele Songs seiner Band Coldplay mit dem Universum und den unendlichen Weiten da draußen zu tun hat: „A Sky Full Of Stars“.

Der Titel des Konzerts war der gleiche wie ihres neunten Studio-Albums: „Music of the Spheres“. In der Videoinstallation werden Planeten zu Discokugeln und umgekehrt, Aliens tauchen plötzlich auf, Raketen starten gen Himmel und als die Band ganz zu Beginn die Bühne betritt, spielt im Hintergrund der Orchester-Soundtrack von „E.T., der Außerirdische“. Als sie gleich danach bombastisch mit „Higher Power“ von ihrem neuen Album einsteigen, wird klar, dass man ihre Lieder nie wieder leise im Radio wird hören können, ohne sich Feuerwerk und herumfliegende Papierschnipsel dazuzudenken.

Coldplay sind 1998 einmal als kleine College-Band mit dem Namen Starfish gestartet: Chris, Jon, Guy und Will. Jenes berühmte Video von Chris mit Zahnspange sollte Pflicht für jeden Konzertgänger sein, bevor er Coldplay zuhört. Da ruft dieser Teenie größenwahnsinnig in die Kamera: „Wir werden groß werden, das Fernsehen im ganzen Land wird uns übertragen!“ In den 24 Jahren danach hat die Band gemeinsam alles durchgemacht: Welterfolg, Depression, Suchtprobleme und Scheidungen. Dass Coldplay im Juli 2022 für drei Konzerte nach Berlin kommen (noch einmal am Dienstag und Mittwoch, 12. und 13. Juli, Olympiastadion), ist auch ein Zeichen für die große Macht von Freundschaft. Viele Konzerte wird es nicht mehr geben, denn Chris hat angekündigt, die Band trotz allem 2025 aufzulösen.

„You know I love you so“

Den Hit, mit dem alles damals begann, singt Chris in der Mitte des Konzerts: „Yellow“. Und schon damals schien er vorwegzunehmen, dass es eines Tages bei ihnen oft um Universen und Planeten gehen wird. „Look at the stars“, singt er, während er sich selbst mit der Gitarre begleitet, „Look how they shine for you“. Es ist eines der vielen Liebeslieder, bei dem Paare gemeinsam den Satz mitsingen, der doch so viel leichter über die Lippen geht, wenn es ein ganzes Stadion singt: „You know, I love you so!“

Um das Handgelenk haben viele während des Konzerts ein kleines Armband gewickelt, das am Eingang kostenlos verteilt wird. Dieses Plastikding leuchtet in verschiedenen Farben und macht die Halle so zu einer weiteren Lichtquelle. Chris spielt damit manchmal wie ein Zauberer und lässt mit seiner Handbewegung Farbspiele durch das Stadion wehen. Bei „Humankind“ ist alles lila, bei „Sparks“ blau, bei „Clocks“ grün und bei „Viva La Vida“ schreiend bunt. Chris lässt keinen großen Hit aus und fordert sein Publikum dabei immer wieder zu Singalongs auf: „Eins, zwei, drei!“

An zwei Stellen redet er ganze Sätze auf Deutsch. Einmal zu Beginn: „Wir sind glücklich und dankbar hier zu sein“, holpert er charmant. Dann atmet er tief: „Aaah, die Berliner Luft.“ Sein anschließendes Kompliment versteckt er in einer Frage: „Ist es wahr, dass das Berliner Publikum das beste der Welt ist?“ Dann singt er die Antwort: „Ich denke jaaaa!“

Die zweite Stelle ist am Ende des Konzerts und er wird trotz Konfettiregen und Feuerwerk für einen Moment ernst: „Danke, dass Ihr heute hier seid, trotz der Probleme.“ Auf Englisch erklärt er dann, was er meint mit Problemen: die steigenden Preise, die Pandemie und der blöde Krieg. Er erwähnt zwar Putin nicht, aber kündigt dafür einen ukrainischen Kinderchor an, der mit ihm zusammen noch einmal „Something Just Like This“ singt. Als sie dafür Stadionapplaus bekommen, können das die Kinder in der Großaufnahme sichtlich kaum fassen.

Etwas „cringe“ fühlte sich allerdings der Versuch an, dieses Konzert als „nachhaltig“ zu vermarkten. 70.000 Menschen mit Bratwurst oder Pulled-Pork-Burger in der einen Hand und Plastikbecher und Plastikarmband in der anderen können schwer nachhaltig sein. Den Sprachen nach sind viele im Publikum für dieses Konzert in Flugzeuge gestiegen: aus Finnland, Israel und Spanien. Coldplay will dafür wieder zurück auf die Straße, in den Tourbus, wie früher. Außerdem werden vom Ticketpreis Bäume gepflanzt – und auf speziellen Tanz-Bühnen und durch Fahrräder am Rand können Zuschauer „Energie erzeugen“, die dann für das Konzert benutzt wird.

Die Natur, die Erde, die Welt rettet Chris mit seinem Konzert jedenfalls nicht. Aber wie singt er selbst ganz am Ende: „Wenn du dein Bestes gibst, aber es trotzdem nicht schaffst“. Gerade bei diesem Lied schafft er diesen Moment, für den Menschen selbstverständlich lange Reisen auf sich nehmen, von dem sie zu Hause lange erzählen werden, an den sie sich immer wieder erinnern, bis zum nächsten Konzert: Hand in Hand bei „Fix You“ mitsingen, in einem Olympiastadion, das komplett in Orange getaucht ist, in einer Stadt, die einst geteilt war. Und alle singen „Licht wird dich nach Hause geleiten“ und dann das unmögliche Versprechen: „Ich krieg dich wieder hin.“