Dating in Südkorea

Lee Myung-Gil, Foto: Sören Kittel

Die Koreanerin Kim Eun-Ji war auf rund 50 Dates in ihrem Leben, alle liefen nach dem gleichen Muster ab: Reden über Hobbys, essen (Mann zahlt), Kaffee trinken (Frau zahlt), dann bringt der Mann die Frau nach Hause – oder zur U-Bahn-Haltestelle. Sie hat sie alle gesehen: Männer, die eine Stunde zu spät kamen, solche, die keine Spaghetti mit der Gabel aufrollen können, und jene, die stundenlang von ihrem Lieblingscomputerspiel erzählten.

Die 37-jährige Koreanerin ist noch immer unverheiratet. Generell, sagt sie, komme es nie so gut an, wenn sie erzählt, dass sie beruflich viel reist und finanziell für sich selbst sorgen kann. „Ich war vor einigen Tagen mit ein paar Koreanern essen und trug wie immer meinen Hermès-Schal.“ In Südkorea ist es normal, sich gut und teuer zu kleiden. Doch einer der Männer hörte nicht auf, Kim vor allen darauf anzusprechen: „Er sagte mir immer wieder, ich kleide mich zu luxuriös.“

Wenn Kim Eun-Ji ihren koreanischen Freunden davon erzählt, klingt das plötzlich gar nicht mehr so unhöflich. „Auf Koreanisch sind solche Sätze nicht anmaßend“, sagt sie, „dort es ist normal, private Dinge öffentlich zu diskutieren.“ Wer in Korea lebe, höre schnell einmal: Du bist zu dick, zu alt, zu teuer angezogen. Koreaner lieben Konfuzius und der sagte einmal: „Wenn ein Nagel herausschaut, dann zielt ein Hammer darauf.“ Kim Eun-Ji ist hübsch, erfolgreich, aber weil sie unverheiratet ist, stellt sie für koreanische Verhältnisse einen riesigen Nagel dar, der quasi nach einem Hammer schreit.

Doch es ist in Korea und Ostasien insgesamt für Frauen schwer geworden, sich in die Gesellschaft einzufügen, denn die Anforderungen an sie sind widersprüchlich. Einerseits sollen sie gebildet und selbstständig sein, gleichzeitig auf keinen Fall dem Mann überlegen. Sie sollen strengen Schönheitsidealen (schlank, große Augen, hohe Wangen) entsprechen, aber nicht zu viel aus ihrem Typ machen. Sie sollen erwachsen auftreten und gleichzeitig auf Fotos kindliche Grimassen ziehen. Sie sollen westliche Filme kennen und reisen, aber wenn sie nach einem westlichen Vorbild leben wollen, gelten sie als Verräter der Tradition. Superfrauen gesucht.

Eine der Folgen dieser hohen Erwartungen der Gesellschaft ist, dass rund ein Drittel der Frauen über 30 Singles sind. Gerade in Korea haben sich die Marktgesetze längst auf Beziehungen ausgeweitet, ganz wie in Michel Houellebecqs „Ausweitung der Kampfzone“ vorausgesagt.

Nur sind die Verlierer nicht wie im Buch die Männer, sondern die Frauen. Das ist für Seoul-Besucher aus Europa nicht unbedingt ersichtlich, wenn sie am Wochenende durch Gangnam flanieren, diesen reichsten Stadtteil Koreas, der durch den Hit des Sängers Psy weltberühmt wurde. Überall sieht man vermeintliche Liebespaare, die Arm in Arm Doppel-Selfies machen.

Dabei müssen das gar keine Pärchen sein, sagt der Dating-Coach Lee Myung-Gil, sondern nur Menschen beim Daten. Lee arbeitet für die mitten in Gangnam residierende Firma „DUO“, Koreas erste Partnerschaftsagentur. Lee ist 34 Jahre alt, genau in dem Alter seiner Premium-Kundinnen, die alles gleichzeitig sein müssen, schön und gebildet, sexuell erfahren und Jungfrau, erfolgreich und ein bisschen blöd.

Lee kennt ihre Probleme. Wenn er im Fernsehen auftritt, stellt er sich selbst so vor: „Ich war früher Casanova und bin jetzt der Dalai Lama.“ Er ist Dating-Coach geworden, weil er das am besten konnte: Frauen rumkriegen. Er ist muskulös, hat weiße Zähne und spricht von Dates wie von einer Mathe-Aufgabe. Er weiß, was Männer wünschen – und warum es Frauen in Korea so schwer haben: „Heute sind Koreanerinnen wirtschaftlich unabhängig. Männer aber wollen nicht zum ‚Rollladen-Mann‘‚ werden.“ Das ist der abfällige Begriff im Koreanischen für die Ehemänner, die abends im Geschäft ihrer Frauen die Rollläden herunterlassen.

Was tun? Lee rät nach wie vor zum „Sogeting“, einem formellen, arrangierten Date. Das ist die Norm in dem Land – Koreaner fragen ihre Freunde: „Kennst du jemanden, der zu mir passen würde?“ Dann gehen beide zusammen aus. Wenn es gut läuft, treffen sie einander wieder. Wenn nicht, fragt man weiter im Freundeskreis – ab 30 beginnen auch die Eltern, einen Partner vorzuschlagen.

Nicht umsonst schrieb der „New Yorker“ kürzlich über Seoul, dass die Stadt die Technik aus dem Jahr 2050 habe und die Moralvorstellungen von 1950. Zwar werden hier die besten Mobiltelefone der Welt hergestellt, aber Eltern enterben ihre Töchter, wenn diese mit ihrem Freund unverheiratet zusammenziehen.

Das drängt manche zur Eile. Park Mi-Kyung erzählt, ihr habe beim ersten Date der Mann schon von seinen Hochzeitsplänen erzählt und sie nach ihrem Kinderwunsch gefragt. „Das ist das Schwierige bei Koreanern“, sagt Park Mi-Kyung, „wenn sie dich mögen, dann wollen sie gleich alles von dir!“ Die Koreanerin hat in den USA gelebt, betreibt ein Fitnessstudio und ist 38 Jahre alt. Höchste Zeit, sich zu binden, finden auch andere. „Wenn du noch lange wartest, siehst du in deinem Hochzeitskleid sehr alt aus“, erklärte ihr kürzlich ein Taxifahrer. Der Hammer hat den Nagel voll getroffen.

Dating-Coach Lee Myung-Gil will diesen Aufprall etwas abmildern, er lehrt seine Klienten das richtige Maß beim Flirten. „Alle wollen Daten, aber niemand hat ihnen die richtigen Regeln beigebracht.“ Er sagt, dass Smalltalk und langsames Kennenlernen in Korea oft ein Problem seien – sowohl beim Treffen als auch beim Chatten. „Manche Frauen schreiben zu oft SMS oder erwarten zu viel“, sagt er.

Männer täten sich dagegen oft schwer mit Komplimenten. „Außerdem empfehle ich für ein Date Donnerstag gegen Sonnenuntergang.“ Donnerstag sei nahe am Wochenende, aber noch nicht mit den privaten Terminen vom Samstag belastet, und bei Sonnenuntergang scheine das Licht am sanftesten auf das Gesicht.

Beim eigentlichen Date rät er zu wenig Alkohol (zu meiden sei in jedem Fall der Nationalschnaps Soju) und sich mit dem Rücken zur Wand zu setzen (damit das Gegenüber von nichts abgelenkt wird). Zuletzt verrät Lee einen Code, den noch nicht jeder seiner Landsleute kennt: „Der Satz ‚Möchtest du mit mir Ramyon (Nudeln) essen‘, ist eine Einladung zum Sex.“

Das Synonym stammt aus einem zehn Jahre alten Lied einer Sängerin, die im Refrain vom Nudeln-Essen schwärmte. Seitdem sprechen Koreanerinnen offener davon, dass sie eine lose Beziehung haben. Tatsächlich hat sich bereits das englische Wort „some“ für „etwas miteinander haben“ im Koreanischen eingebürgert, und zwar als Verb.

Ich some, du somest, wir somen. Vielleicht geht man nur miteinander ins Kino, oder man macht Pärchenfotos mit einem Selfiestick – oder trifft sich in einem der vielen Liebeshotels, die es in jeder koreanischen Stadt gibt. Selbst das Nicht-Definierte ist damit irgendwie festgelegt. Kim Eun-Ji, die Frau mit den fünfzig Treffen, wohnt gerade für einen Monat in Berlin. Da sehe sie mit einem gewissen Neid, dass es auch ohne offizielles Date gehen kann. „In Berlin geht man einfach zusammen etwas trinken.“

Park Mi-Kyung hatte bereits einige „Some“-Freunde, aber ihrer Familie und den Freunden hat sie davon nichts erzählt. Koreas Superfrauen müssen eben auch ihr Image im Blick haben. Seoul mit seinen 22 Millionen Einwohnern bietet zumindest genügend Anonymität. Bei einem der letzten Dates mit einem Landsmann schien es etwas Ernstes zu sein. „Doch dann sagte er, seine Eltern möchten, dass er es noch einmal mit seiner Ex probiert.“ Sie habe sofort seine Telefonnummer gelöscht. Park Mi-Kyung braucht eine „Sogeting“-Pause.

Doch der Hammer ist ungeduldig: Kürzlich berichtete das koreanische Fernsehen über ihr Fitnessstudio, die Crew folgte der „erfolgreichen Businessfrau“ einige Tage durch den Alltag. „Seltsam war, dass die TV-Moderatorin immer wieder fragte, ob ich einsam sei.“ Vor ein paar Tagen wurde der Film ausgestrahlt. Mi-Kyung schüttelt noch immer den Kopf beim Gedanken daran. „Die letzte Einstellung zeigt, wie ich allein in meiner Wohnung sitze und Nudeln esse und sage, ‚Nein, ich bin nicht einsam‘.“ Dann schwenkt die Kamera auf ihre Katze.

 

Erschienen im Iconist, 25.5.2015