Nasser, Yasser, Arafat und Rommel Abou-Chaker kommen zusammen ins Landgericht in Moabit. Wie immer tragen sie lockere, weite Hosen. Es ist 12:57 Uhr, noch drei Minuten bis Prozessbeginn. An der Sicherheitsschleuse zum Saal 500 werden sie von einer Justizbeamtin gestoppt. Sie sagt streng: „Moment, bitte! Wer sind Sie?“ Nasser kann ein Lachen nicht unterdrücken. „Es ist unser 100. Prozesstag und Sie wissen noch immer nicht, wer wir sind?“ Die Beamtin ungerührt: „Ich habe Sie höflich gefragt, wer Sie sind.“
Die vier Brüder sind Angeklagte im Prozess von Rapper Bushido gegen die Abou-Chakers. Sie werden dann doch schnell vorgelassen in den Saal, in dem einst der Hauptmann von Köpenick und Erich Honecker verurteilt wurden. Hier läuft seit fast drei Jahren ein Prozess, der immer komplexer wurde und bei dem inzwischen nicht mehr klar ist, ob all die Erzählstränge jemals ein Bild ergeben werden, das ein eindeutiges Urteil möglich machen wird. So viele neue Nebenschauplätze wurden aufgemacht, so viele kleine Gaunereien kamen ans Licht aus dieser Halbwelt, in der sich Rap-Musiker und ihre Freunde aufhalten.
In diesem Fall muss es wohl besser heißen, dass sie sich dort aufgehalten haben. Denn das Ende einer Freundschaft ist das eigentliche Grundthema des Mammut-Prozesses. Arafat Abou-Chaker und der Rapper Bushido waren einst Geschäftspartner und Freunde, zumindest nach außen. Als Bushido diese Beziehung beenden wollte, unter anderem weil er sich ausgebeutet fühlte, kam es am 18. Januar 2018 zu einem Streit, von dem der Musiker behauptet, er sei genötigt, beleidigt, bedroht, geschlagen und eingesperrt worden. Ob dies allerdings für eine Verurteilung ausreicht, ist nach fast drei Jahren nicht mehr ganz so sicher, wie es anfangs schien.
Der Prozess hat zuletzt wirklich an Tempo verloren. Die vergangenen 20 Prozesstage brachten wenig Erkenntnisgewinn, es wurden immer wieder Audioaufnahmen besprochen, deren Echtheit letztlich fraglich ist. Es wurde eine Bushido-Dokumentation abgespielt, die eigentlich alle im Saal schon daheim auf Amazon geschaut hatten, und zwischendurch kamen Polizisten zu Wort, die sich nach mittlerweile fünf oder sechs Jahren nicht mehr an Details aus ihren Vernehmungen mit Bushido oder anderen Zeugen erinnern können.
Bevor allerdings der Zeuge befragt wird, hält Arafat Abou-Chakers Verteidigung ein T-Shirt in die Höhe, das dieser „von einem Fan“ geschenkt bekommen habe. Es ist olivfarben; darauf ist ein Gerichtsgebäude abgedruckt. Darüber steht: „Jubiläum 100. Prozesstag Abou-Chaker vs. Bushido“. Der Anwalt fügt leise an, dass die Reihenfolge ja wohl eigentlich umgekehrt sein müsse. Arafat Abou-Chaker selbst trägt das T-Shirt nicht an dem Tag. Meist trägt er teure Markenkleidung von Balenciaga, Vetements oder Gucci, was er oft lachend wie „Gucki“ ausspricht.
An diesem einhundertsten Prozesstag aber spricht er nicht viel mit anderen Beteiligten. Arafat Abou-Chaker ruft auch nichts dazwischen, sondern verhält sich ungewöhnlich zurückhaltend. Das kann daran liegen, dass die Befragung des Polizisten recht zäh abläuft. Es geht um den Rapper Shindy, der mit bürgerlichem Namen Michael Schindler heißt und ebenfalls mit bei Bushidos Label Ersguterjunge unter Vertrag stand. Als Bushido sich von Abou-Chaker geschäftlich trennte, betraf das auch andere Rapper, die sich entscheiden mussten.
Doch zum eigentlichen Tathergang am 18. Januar 2018 konnte Shindy nichts beitragen. Das macht der Polizist deutlich, der ihn vor rund fünf Jahren in Stuttgart befragte. Auch das ein ungewöhnlicher Vorgang: Der Zeuge weigerte sich, nach Berlin zu reisen, und so flogen die Polizisten nach Süddeutschland, um dort den Rapper zu befragen. Zu sämtlichen heiklen Themen aber schwieg Shindy damals im Gespräch, erzählt der Polizist vor Gericht. Und der Vorsitzende Richter erinnert sich korrekt: Auch vor Gericht sei Shindy nicht gesprächig gewesen.
Nach nur 45 Minuten endet die Befragung des Polizisten – ein Segen bei der Hitze im Saal 500 und dem angeschlagenen Mikrofon, das die Stimme des Polizisten beinahe unverständlich macht. Eigentlich sind drei Zeugen geladen, aber der Vorsitzende Richter rechnet offenbar selbst nicht mit einem hohen Erkenntnisgewinn durch deren Befragung. Die Krise des Prozesses ist einmal mehr offensichtlich geworden.