Ishak Ata Modo hat zwei Lieblingssätze, die er bei jeder Führung unterbringt. Einer lautet: „Die weiblichen Komodowarane sind um ein Vielfaches aggressiver als die männlichen.“ Das lässt jeden in der Reisegruppe aufhorchen, und auch dieser Spruch verfehlt nie seine Schockwirkung: „Frisch geschlüpfte Warane rennen instinktiv auf einen Baum, sonst frisst sie das Muttertier.“
Der 40-Jährige ist seit fast 20 Jahren Guide auf der indonesischen Insel Komodo, inzwischen Vorsitzender der Naturführer, und er genießt es, sein Publikum mit Fakten zu erschrecken. Neuerdings gehört ein weiterer Satz zu seinem Standardrepertoire, der ihn allerdings gehörig nervt: „Nein, Komodo wird 2020 nicht schließen!“
Während seiner Touren wird Ishak seit Monaten immer wieder gefragt, was denn nun dran sei an den Behauptungen, Komodo werde bald komplett für Besucher gesperrt. Das seien nur unausgegorene Gedankenspiele lokaler Politiker, entschieden sei noch gar nichts, entgegnet er dann, und man merkt ihm seine Wut an. Schon jetzt hätten große Reiseveranstalter für das kommende Jahr ihre Buchungen abgesagt, der Schaden gehe in die Millionen.
Ishaks tropische Heimatinsel ist berühmt für ihre Warane: urzeitliche Echsen, die bis zu drei Meter lang werden, die Hirsche, Affen und Wildschweine vertilgen können und nur auf Komodo und einigen Nachbarinseln leben. Ihr Bestand ist bedroht, sie stehen auf der Liste der gefährdeten Arten.
Doch weil die Riesenwarane so selten und so Furcht einflößend sind, sind sie eben auch eine Attraktion. Und genau das ist ein Problem, denn die Besucherzahlen auf Komodo steigen seit Jahren, von 44.000 im Jahr 2008 auf 176.000 Besucher 2018. Das bedeutet mehr Müll, den niemand entsorgt, mehr Boote, deren Anker die Korallen beschädigen, und eine zunehmende Störung der Warane in ihrem natürlichen Lebensraum.
Ende März flog dann noch ein Schmugglerring auf: Die Gauner hatten versucht, fünf Baby-Drachen auf Facebook zu verkaufen, zuvor hatten sie laut Polizei 41 Komodowarane für bis zu 32.000 Euro pro Stück verscherbelt. Der neu eingesetzte Gouverneur nutzte den Skandal, um ein Exempel zu statuieren.
Er sagte öffentlich, dass sich im Umgang mit den Tieren etwas ändern müsse, denkbar sei auch eine vorübergehende Schließung der Insel, um die Warane zu schützen. Eine Regionalzeitung schrieb zuerst: „Gouverneur will Komodo 2020 schließen“.
Die Meldung ging um die Welt. Allerdings hatte die Sache einen Haken: Die Schließung war nur eine Idee, beschlossen hatte und hat sie niemand.
Seit einem halben Jahr ist Ishak Ata Modo nun damit beschäftigt, die Folgen dieser Meldung einzudämmen und dafür zu kämpfen, dass die Insel nicht geschlossen wird. Sein Argument: Der Tourismus habe zwar in den vergangenen Jahren zugenommen, aber die Besucher hielten sich nur in einem kleinen Gebiet an der Küste auf und kämen ohnehin nur für zwei, drei Stunden. Tatsächlich buchen die wenigsten eine Tour mit Übernachtung auf Komodo.
Achmad Ariefiandy von der Umweltorganisation Komodo Survival Program bestätigt, dass das touristische Gebiet weniger als zwei Prozent der Gesamtfläche der Insel ausmacht. „Aber es kommt immer wieder vor, dass Touristen unerlaubterweise Sperrgebiete betreten und dort sogar Warane füttern.“ Ergo: Je weniger Besucher, desto besser für die Warane.
Ishak hält dagegen. Touristen liefen stets in 20er-Gruppen mit einem Guide über die Insel, auf vorgegebenen Pfaden. Die Chance, unter einem Palmenblatt oder auf einer Lichtung Warane zu sichten, sei groß, eine Garantie gebe es allerdings nicht. An manchen Tagen zeige sich keine einzige Echse. „Dann zeige ich den Besuchern eben Giftschlangen oder Giftspinnen.“
Ohne großen Stock würde Ishak den Wald nicht betreten: „Warane sind unberechenbar, sie können ganz plötzlich sehr aggressiv reagieren und sehr schnell rennen.“ Mit dem Stock hält er sie auf Abstand und erklärt, dass ihr Speichel ein Bakterium enthält, das die Heilung von Bisswunden verhindert. „Erst voriges Jahr ist wieder ein Mensch gestorben, der hier gebissen wurde.“
Ishak Ata Modo wurde 1978 auf Komodo geboren, in einem von zwei Dörfern, die es auf der Insel gibt. Er ist mit Waranen aufgewachsen. Rund 2000 soll es auf Komodo geben, ihre Zahl gilt seit Jahren als stabil. Auf der Nachbarinsel Rinca leben noch einmal gut 3000 Tiere. „Die Biester lassen sich aber schwer zählen“, sagt Ishak, schließlich würden sie zwischen den Inseln auch hin und her schwimmen.
Die komplette Schließung Komodos ist inzwischen vom Tisch. Die lokale Regierung hat eine neue Idee präsentiert: eine saftige Eintrittsgebühr von 1000 US-Dollar. Mit der dürften sogenannte Premium-Kunden dann ein Jahr lang alle Inseln des Komodo-Nationalparks besuchen, auf Komodo übernachten und auf exklusiven Touren die Insel erkunden.
Doch auch dieses Konzept ist noch keine beschlossene Sache. „Es wird frühestens 2021 Änderungen geben“, sagt Achmad Ariefiandy vom Komodo Survival Program. Vorher werde eine umfassende Studie durchgeführt.
„Ein Team aus Experten und Politikern hat dafür ein Jahr Zeit und wird dem Umweltminister Ende 2020 Bericht erstatten.“ Es solle eine Lösung gefunden werden, die den Bedürfnissen der Tiere, der Touristen, aber auch der lokalen Bevölkerung gerecht werde.
Den Bedenken, dass bald nur noch Luxusreisende Warane zu Gesicht bekommen dürfen, tritt die Regierung schon jetzt entgegen. „Wer die Gebühr in Komodo nicht zahlen will“, gab Luhut Pandjaitan, Indonesiens Schifffahrtsminister, zu Protokoll, „kann für eine weitaus geringere Gebühr die weniger berühmte Nachbarinsel Rinca besuchen.“ Dort leben bekanntlich mehr Warane als auf Komodo.
Ishak Ata Modo hat also recht mit seiner Einschätzung, dass Komodo 2020 nicht schließen wird. Was danach passiert, weiß derzeit niemand. Derweil bauen die Einheimischen am Hafen von Komodo weiterhin Tag für Tag ihre Stände mit Drachen-T-Shirts und Waran-Souvenirs auf.
Sobald sich ein Touristenboot nähert, preisen sie ihre Ware mit lauten Rufen an und unterbieten sich gegenseitig. Der Preis für einen Aschenbecher mit Mini-Waran fällt in wenigen Sekunden von umgerechnet vier auf zwei Euro.
„Es kommen einfach zu wenig Boote“, klagt einer der Händler, die Einnahmen hätten sich schon jetzt halbiert, obwohl die Schließung nur ein Gerücht gewesen sei. „Wir sind weiterhin hier, auch im kommenden Jahr“, sagt er und geht ungefragt mit dem Preis auf 1,50 Euro runter.