Die Nacht im Topfhotel von Südkorea

Topfhotel

Neulich habe ich im Steinkrug übernachtet und hatte einen Traum, in dem Raben sprechen konnten. Wie im Märchen. Als ich aufwachte, war ich noch immer in diesem Zimmer mit runden, bunten Wänden und lag unter einer gewölbten Zimmerdecke. Als ich durch das runde Fenster schaute, konnte ich sechs haushohe Töpfe erkennen, weiter hinten auch das Meer und – das andere Ufer. War das Nordkorea?

So ungefähr könnte der Inhalt meine Postkarte klingen aus dem südkoreanischen Yeongheung-do. So heißt eine kleine Insel vor Seoul, die neben Wäldern, einem Windpark und einem schönen Strand mit Blick Richtung Nordkorea noch eine Attraktion hat: das Topfhotel – „The Pottery Pension“.

Sieben bemalte Riesentöpfe und Krüge stehen in einer Kieselstein-Straße, mit kleinen runden Fenstern, wie die Kulisse aus einem Kinderfilm, in dem knubbelnasige Wesen aus den Türen treten. Die Inhaberin Jun Myeong-Hua hat es vor acht Jahren eröffnet.

„Zunächst hatte ich gesundheitliche Gründe“, sagt sie. Das habe mit der Industrie-Luft in ihrem Heimatort Incheon zu tun, einer Vorstadt von Seoul, die inzwischen eine eigene Millionenstadt ist. „Weil ich die Luft nicht mehr gut vertragen habe, musste ich näher ans Meer ziehen.“ Der Doktor hat ihr gesagt, am besten wäre es, wenn sie in einem Lehmhaus wohnen würde. „Da dachte ich, warum nicht gleich in einem Haus aus Erde?“ So entstand der erste Steinguttopf.

Sie hat damit eine der wichtigsten Voraussetzungen für koreanische Reisende erfüllt: Der Urlaubsort muss als Selfie-Hintergrund taugen. Da Koreaner lange Arbeitszeiten haben und nur ein bis zwei Wochen Urlaub im Jahr, muss möglichst Ungewöhnliches erlebt werden, damit die Kollegen auch etwas zum Staunen haben.

Die Riesentöpfe sind nach koreanischer Töpfer-Tradition gestaltet. Wer sich auskennt, kann bei jedem Haus zuordnen, aus welcher Region es stammt. „Der dort ist aus Gwangju“, sagt Jun Myeong-Hua und zeigt auf einen Topf mit rundem Bauch.

Architekturprofessoren seien schon gekommen, nachdem das nationale Fernsehen da war, folgten der chinesische Staatssender CCTV und schließlich Besucher aus New York und Europa. „Es kann sein, dass ich bald anbauen muss“, sagt sie. Drei Töpfe seien in Planung.

Seit rund zehn Jahren eröffnen in Korea Hotels in Form von Pilzen, Trauben oder Äpfeln. Es gibt Zimmer im Design eines Bierkrugs und eines Damenschuhs. Wer in einem Gefängnis übernachten will, geht ins Hotel „Cozydesign“. Es gibt auch die „Sun-Cruise“, ein Schiff, das nur so aussieht, als könnte es ablegen. Es ist ein Haus in Form eines Dampfers.

Mit solchen Konkurrenten wollte Jun Myeong-Hua nie mithalten. In jedem ihrer Töpfe ist nur Platz für acht Gäste. Die Stadt Seoul bat sie schon um Hilfe beim Bau eines Denkmals – für koreanisches Steingut.

Jun Myeong-Hua schmeichelt es, wenn Spaziergänger stehen bleiben. Sie kann auf den Kieselsteinen jeden Schritt hören, dann kommt sie aus ihrer Hütte und erzählt die Geschichte ihrer Töpfe – und wie gut man darin schläft.

Erschienen in Die Welt, 28.10.2015