„Es ging nur um Geld“: Verteidiger verlesen im Bushido-Prozess Plädoyers

Stephanie Scholz / BLZ

Mohamed „Momo“ Abou-Chaker und der Rapper Fler stehen hinter dem Zuschauerbereich des Saal 500 im Landgericht Moabit und diskutieren. Der Richter hat zehn Minuten Pause angekündigt, nicht genug, um durch die Sicherheitsschleuse vor die Tür zu gehen. Und so stehen alle in diesem seltsam engen Vorraum und diskutieren, Fler und Momo in der Mitte. Fler schimpft auf die Staatsanwältin, Mohamed erzählt von seinen drei Jahren im Gefängnis und als beiden nichts mehr einfällt, lästern sie über den Rapper Bushido. Fler: „Eigentlich müsste der auf der Anklagebank sitzen.“

Dieses kleine Seitenschauspiel wird sich einreihen in die Geschichten rund um den wohl ungewöhnlichsten Prozess im Berlin der Nachkriegszeit: In diesem Saal 500 geht es seit nunmehr dreieinhalb Jahren darum, ob sich vier Brüder von Mohamed Abou-Chaker (Arafat, Yasser, Nasser und Rommel) am 18. Januar 2018 so sehr mit Bushido gestritten haben, dass sich der Vorwurf der Nötigung, Beleidigung, Bedrohung, Freiheitsberaubung und Körperverletzung dadurch ergeben könnte. Es ist der 113. Verhandlungstag und an diesem Freitag ist die Tagesordnung voll: Die sieben Anwälte der Abou-Chaker-Brüder wollen ihre Plädoyers halten.

Am auffälligsten ist ausgerechnet der Vortrag von Peter Brasche, der Yasser Abou-Chaker verteidigt. Fast sentimental sagt er, dass er sowohl Bushido als auch die vier Brüder seit 20 Jahren kenne. „Ich bin am Anfang gefragt worden“, sagt Brasche, „wie lange das Verfahren dauern werde und konnte nur sagen: wahrscheinlich sehr lange.“ Das Drehbuch zur Verhandlung sei schließlich von einem Prozessbeteiligten geschrieben worden, nämlich dem Rapper Bushido, dessen Narrativ seiner Meinung nach dieses aufwändige Verfahren mit über 40 Zeugen geprägt habe.

Doch was sonst sollte das Narrativ sein? Darüber schweigt Peter Brasche. Über 14 Jahre hatte Arafat und Bushido eine enge Freundschaft und Partnerschaft im Musikbusiness verbunden. Als Bushido diese Beziehung beenden wollte, kam es zu einem Streit, der dann wohl eskaliert sei. Verteidigerin Lara Wolf verglich in ihrem Plädoyer die Einzelheiten des Streits mit „Silberlöffeln“ nach einem Ehestreit. Entgegen der Meinung vieler, zeigte sich Anwalt Brasche sicher, dass es nie um Freundschaft gegangen sei oder um Bushidos Angst um sein Leben oder das seiner Familie. „Es ging immer nur um Geld.“

Genau wie die anderen sechs Anwälte für ihren jeweiligen Mandanten fordert auch Brasche für Yasser einen Freispruch, zumindest für die Vorwürfe rund um den 18. Januar. Was wirklich in den Büroräumen in der Puderstraße passiert sei, könne niemand genau feststellen, da stehe letztlich Aussage gegen Aussage. Alle Anwälte stützen sich in ihrem Vortrag immer wieder auf einen Audio-Mitschnitt des Abends, der allerdings nur zwei Stunden dauert und dessen Metadaten gelöscht sind. Es könnte also auch von einem anderen Treffen stammen.

Als erster sprach Anwalt Hansgeorg Birkhoff, der auch im Prozess am häufigsten das Wort ergriffen hatte. Nie um ein Wort verlegen, rechnete man mit einem rhetorischen Feuerwerk. Es blieb jedoch eine seltsam unstrukturierte Rede, die nicht mit Kritik an Presse und Gericht sparte. Birkhoff verwies auf die alten Griechen und ihre philosophischen Konzepte von Wahrheit und erinnerte alle noch einmal daran, dass er wegen eines Unfalls auf Krücken den Prozess begann, doch was beides mit der möglichen Unschuld seines Mandanten zu tun habe, wurde nicht deutlich.

Das Hauptthema aller Plädoyers war es, die Glaubwürdigkeit von Anis Ferchichi, wie Bushido mit bürgerlichem Namen heißt, und seiner Frau Anna-Maria anzuzweifeln. Doch die Beweise, die den Verteidigern dazu dienten, sind ein angeblicher Treppensturz eines Polizeibeamten, den Bushido gesehen haben will, aber an den sich kein Polizist erinnern kann. Außerdem hatte er vor Gericht gesagt, er habe seine eigene Biografie nie gelesen, dabei gibt es ein von ihm eingelesenes Audio-Buch. Aber ist das genug, um ihn unglaubwürdig zu machen? Lassen sich sein Charisma und seine rhetorischen Fähigkeiten gegen ihn auslegen?

Die Staatsanwaltschaft hatte ihr Strafmaß beim 112. Prozesstag auf vier Jahre und vier Monate festgelegt. Nachdem Arafat in der vergangenen Woche ein Teilgeständnis abgelegt hatte, reduzierte sie ihr vorgeschlagenes Strafmaß – auf vier Jahre, drei Monate und eine Woche. Arafat Abou-Chaker hatte außerdem eine ausstehende Geldstrafe am Mittwoch dieser Woche komplett bezahlt: 3430,61 Euro. Das Geld ging jedoch vom Konto eines gewissen Andreas A. ab.

Oberstaatsanwältin Leister kommentierte das mit einem Satz, der wohl ebenfalls unbedingt in die Geschichtsbücher zu diesem Fall gehört: „Ich geh’ mal davon aus, dass der Herr freiwillig bezahlt hat.“ Es war das einzige Mal, dass Arafat und seine Brüder sich an diesem Tag kurz echauffierten. Sonst, auch das hatte Anwalt Birkhoff richtig bemerkt, waren die Angeklagten weitgehend diszipliniert aufgetreten. Am 5. Februar soll das Urteil gesprochen werden.