Ex-Mitbewohner von Bushido: „Arafat war sein Mentor, Beschützer und Ersatzvater“

Stephanie Scholz / BLZ

15.06.2022

Rommel Abou-Chaker überholt die Journalisten und sein Lächeln ist ein ehrliches. Gerade hat die erste längere Pause im Prozess im Landgericht Moabit begonnen. Der 44-Jährige läuft wie alle schnell zu einem Ort, an dem er etwas trinken kann. Auch im Saal 500 ist es heißer als sonst. Rommel, der Fans des Berliner Lokalfußballs als Stürmer des BFC Preussen bekannt ist, sagt: „Jetzt sieht man endlich mal die Gesichter und nicht nur irgendwelche Masken.“

Fast zwei Jahre dauert der Prozess gegen ihn und seine drei Brüder jetzt schon. Zusammen mit dem mutmaßlichen Bandenchef Arafat Abou-Chaker sind Rommel, Nasser und Yasser wegen Beleidigung, Nötigung, Freiheitsberaubung, räuberische Erpressung und gefährliche Körperverletzung angeklagt. Nebenkläger ist der Rapper Bushido, der die vier Brüder beschuldigt, ihn und seine Familie bedroht zu haben, weil er einen Management-Vertrag mit Arafat auflösen wollte. Die Abou-Chakers haben sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert.

Nach rund einem Monat Sommerpause treffen sich bis auf Bushido und dessen Anwalt alle Prozessbeteiligten wieder. Weil die Corona-Regeln geändert wurden, muss niemand mehr im Saal eine Maske tragen, einige machen es trotzdem. Der 74. Verhandlungstag beginnt mit einer Stellungnahme der Verteidigung. Sie will prüfen lassen, das Verfahren des ältesten der vier Brüder, Nasser Abou-Chaker, vom Hauptverfahren abzutrennen. Er habe nur schlichten wollen, an jenem 18. Januar 2018, als sich Bushido und Arafat stritten. Entschieden wird in dieser Sache allerdings erst in den kommenden Wochen.

Dann tritt der Zeuge des Tages in den Gerichtssaal: Danny Bokelmann ist im gleichen Alter wie Rommel und trägt auch eine ähnliche Frisur, nur dass seine Haare grauer sind, viel länger und nach hinten gekämmt. Der Musikproduzent war in Berlin auch eine Zeit lang als Rapper D-Bo bekannt – und war zwischen 2004 und 2007 Bushidos Mitbewohner. Sie gründeten zusammen das Label Ersguterjunge. Bokelmann betritt den Saal in kurzen Hosen und einem T-Shirt mit der Aufschrift Raw Power. Seine Arme sind voller Tattoos. Vögel, Totenköpfe, Micky Mouse und ein Spruch auf Englisch: „Denk daran, dass du sterben wirst“.

In den kommenden fast vier Stunden wird Bokelmann zu seiner Freundschaft zu Bushido und zu Arafat befragt. Zu letzterem pflegt er noch immer Kontakt, die Freundschaft zu Bushido ist stark erkaltet. Bei der Gründung des Labels 2004 sei er noch von einer 50-Prozent-Beteiligung ausgegangen, beim Notar waren es dann nur vier Prozent. „Ich wurde überrumpelt“, sagt er heute. Gleichzeitig wurde Arafat im Leben Bushidos immer wichtiger, war schließlich auch Trauzeuge, als der sich Bokelmann selbst gern gesehen hätte. Nur von den Gewaltausbrüchen, die sowohl Bushido als auch andere Zeugen immer wieder beschrieben, will D-Bo nichts mitbekommen haben.

Den ersten Streit gab es wegen Geld. „Wir haben die Merchandise-Verkäufe von den Konzerten Anfang der 2000er nicht abgerechnet, sondern separat in der Wohnung gelagert“, erzählt Bokelmann. Zu einem Zeitpunkt lagen 65.000 Euro in bar in einer Plastiktüte in der gemeinsamen Wohnung. Er sei davon ausgegangen, dass Arafat von dem Geld wusste, der aber sei außer sich gewesen. „Bei der Aussprache hat dann Bushido erst versucht, es mir in die Schuhe zu schieben“, sagt Bokelmann.

Nach den vielen Zeugen, die inzwischen gehört wurden, ist dieser nun also ein weiterer der Kategorie „enttäuschter bester Freund von Anis Ferchichi“, wie Bushido mit bürgerlichem Namen heißt. Immer wieder wurden Menschen in den Zeugenstand gerufen, die einmal sehr eng mit Deutschlands erfolgreichstem Rapper („Staatsfeind Nummer 1“) waren, dann aber den Kontakt zu ihm verloren. Oft geht es um fünfstellige Beträge, die irgendwo in bar lagerten und zu Problemen führten. Und immer wieder versuchen Richter und Staatsanwalt herauszufinden, was diese Menschen zu der Beziehung zwischen Arafat und Bushido sagen können.

Danny Bokelmann hat beinahe ein psychologisches Gutachten für die 38. Strafkammer vorbereitet: Arafat sei „Mentor, Beschützer, großer Bruder und Ersatzvater“ gewesen für Bushido. Außerdem sei die Freundschaft auch für das Image des Gangsterrappers unverzichtbar gewesen. „Er konnte mit Arafat einfach viel mehr Geld verdienen.“ Musiker dieses Genres müssten sich mit Gangstern umgeben, oder, wie es Bokelmann ausdrückt, „mit Menschen, die sich zu kriminellen Taten hinreißen lassen“.

Die Ausdrucksweise des Musikproduzenten ist gewählt, nur einmal rutscht D-Bo ein „am Arsch“ heraus im Zusammenhang mit seinen Kollegen. Verträge werden nicht unterschrieben, sondern „gesigned“ und wenn ein „kleiner Bonus“ gezahlt wird, dann im „niedrigen fünfstelligen Bereich“. Die Rap-Welt ist eben eine sehr eigene Welt. Wenn D-Bo mal etwas nicht weiß, sagt er nicht „Keine Ahnung“, wie die übrigen Ex-Kollegen Bushidos. Er sagt: „Das entzieht sich meiner Kenntnis.“

Doch ein paar Ungereimtheiten bleiben nach der Aussage des Mannes, auf dessen linken Unterarm tätowiert ist: „Die Hölle ist leer und die Teufel sind hier“. Wieso bezeichnet er sich als jemand, der Bushido extrem gut kenne, hat aber jahrelang kaum Kontakt mit ihm gehabt? Wieso spricht er davon, dass Arafat mit den Jahren weicher geworden sei, wo doch mehrere andere Zeugen von einer zunehmenden Verhärtung des mutmaßlichen Bandenchefs sprachen? Und warum nennt es ein ehemaliger bester Freund „kindisch“, wenn Bushido an ihn in einer SMS schreibt: „Arafat will meiner Frau Säure ins Gesicht schütten?“ Bokelmann lapidar zum Richter: „Wenn Sie Bushido so lange kennen würden wie ich, dann könnten Sie das auch nicht ernst nehmen.“ Am Montag, den 8. August, geht der Prozess weiter.