Kallstadt, wo Donald Trumps Wurzeln sind

Trump Vorfahren

Kallstadt.  Bevor Jörg Dörr überhaupt etwas von Donald Trump erzählt, nimmt er in seinem Büro einen Faltplan von Kallstadt, klappt ihn auf, markiert mit dem Kugelschreiber ein Kreuz auf der Freinsheimer Straße und schreibt die Hausnummer 20 daneben. „Hier sind wir“, zeigt er auf der Karte, „und dort ist der Großvater von Trump geboren.“

Wie alle im Ort spricht er „Trump“ nicht mit A, sondern mit U aus. Und bei allem, was er danach sagt, wird man als Zuhörer das Gefühl nicht los, dass dieser Tourismusbeauftragte der idyllischen Weinregion in der Pfalz es auch gerne dabei belassen würde.

Aber das geht im Frühjahr 2016 nicht mehr. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump gewinnt in den Vorwahlen an Aufwind, besonders nach dem „Super Tuesday“, bei dem Trump wie seine demokratische Gegenspielerin Hillary Clinton sieben Bundesstaaten für sich gewann. Er steht für größenwahnsinnige Forderungen („Ich werde eine große Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen“) und plumpe Parolen („Keine Einwanderung für Muslime“). Dennoch hat er Chancen, weitere Vorwahlen zu gewinnen – und sogar ins Weiße Haus einzuziehen.

Doch Jörg Dörr belasten derzeit eigentlich andere Sorgen: „Die Mandelblüte in diesem Jahr beginnt viel früher als sonst. Diese sechs ‚rosa Wochen‘ sind für unsere Region so wichtig, wie die Kirschblüte in Japan.“ Wegen des Klimawandels aber haben schon jetzt die ersten Bäume ihre charakteristische rosa Färbung angenommen, die normalerweise wochenlang mehr Gäste in die 22 Restaurants des Ortes lockt, als es ein Präsident in spe jemals vermag.

„Durch unser Dorf führt die älteste und bekannteste deutsche Ferienstraße“, sagt Dörr, „und Wein sowie Saumagen prägen unser Dorf mehr als der Kandidat in den USA.“ Mit Trump zu werben, käme ihm nie in den Sinn, auch wegen seiner unberechenbaren Äußerungen. „Was ist, wenn wir erst groß damit werben und er dann plötzlich mit einer Äußerung zu weit geht?“

Andersherum aber ist Trump in den USA inzwischen stolz auf Kallstadt. Nachdem er noch vor einigen Jahren behauptete, schwedischer Abstammung zu sein, hat er sich inzwischen selbstbewusst als Exildeutscher geoutet. „Kallstadt macht einen tough“, sagt Trump über den Heimatort seiner Vorfahren. „Aber man musste dort auch schlau sein, sonst nützt die Härte überhaupt nichts.“

Er meint seinen Großvater Frederick Trump, der 1885 in die USA auswanderte und in New York den Grundstein für den Immobilienreichtum der Trumps legte – und so Donald Trump überhaupt erst die Kandidatur ermöglicht. „Wenn ich einmal in Deutschland bin, werde ich auf jeden Fall in Kallstadt vorbeischauen.“

Er wird dann einen idyllischen Ort vorfinden: Sanierte Fachwerkhäuser, enge Gassen, gemütliche Restaurants, am Dorfrand den ältesten Mandelbaum der Welt, im Zentrum eine Zwiebelturmkirche und einen Brunnen – alles eingebettet in Weinberge. Selbst bei Regen wirkt es hier nicht trist, vielmehr bekommen die alten Steine einen frischen Glanz.

Trump ist allerdings nicht der einzige Prominente, der hier seine Wurzeln hat. So kommt auch der „Heinz“-Ketchup-Magnat aus diesem kleinen Ort in der Pfalz. Sie alle wurden in dem Dokumentarfilm „Kings of Kallstadt“ gewürdigt, der vor einem Jahr in den Kinos lief. Allerdings wettert die Hauptdarstellerin des Films, Veronika Schramm (68), eher über Trump: „Für mich ist das unbegreiflich, wie es so einer soweit schaffen konnte“, sagt sie. „Wie der seine Kontrahenten verbal angreift, das finde ich zu radikal und ja, fast“, sie pausiert, „menschenverachtend.“ Dies habe sie auch dem „Wall Street Journal“ gesagt. „Der klingt manchmal wie ein Geisteskranker.“

Andererseits, räumt Schramm ein, hätten die Kallstädter schon immer einen speziellen Spitznamen gehabt: „Brulljesmacher“. Der Ausdruck bedeutet, dass man ein bisschen Wind um sich selbst macht, auf großem Fuß lebt. „Etwas Dampf machen“, heißt es in dem 1200-Einwohner-Ort.

Schon früh spezialisierten sich die Kallstädter auf den Weinanbau und erarbeiteten sich Wohlstand. Sie waren das erste Dorf mit Kanalisation in der Region und mit anderen Vorzügen der Moderne. Die Nachbargemeinden schauten mit Neid in Richtung Zwiebelturm.

Und Donald Trump ist der größte Brulljesmacher von allen. „Was ich leite, läuft“, lautet einer seiner Sätze: „Ich werde der beste Präsident, den Gott je erschaffen hat.“ Er gibt an mit seinen Millionen, seinen Immobilien und mit seiner Herkunft.

Sollte Trump jemals Kallstadt besuchen, wird er dann wohl auch die Hand von Thomas Jaworek drücken, dem ehrenamtlichen Verbandsbürgermeister des Dorfes. Jaworek geht professionell mit dem Rummel um seine Wahlheimat um. Er hat in Großbritannien und Japan studiert, aber zog 1998 in dieses Dorf. Sein Büro ist dekoriert mit Weinköniginnen, es ist kleiner als das des Tourismusbeauftragten Jörg Dörr, aber dafür genießt es Jaworek ein bisschen, nach seiner Meinung zum US-Wahlkampf gefragt zu werden.

Der Bürgermeister will vorläufig weder eine Straße noch ein Haus nach den Trumps benennen. „Das definiert uns als Ort nicht“, sagt er, „unser Markenzeichen ist die Gemeinschaft.“ Er spricht von Theater- und Turnverein, von Festen und den „Tagen der offenen Weinkeller“. Probleme gebe es auch. Die Bundesstraße, die durch den Ort führt und die Lastwagen, die an den alten Gemäuern vorbeirattern, das ärgere viele Bürger. Eine Umgehungsstraße ist in Planung, aber nie wirklich in Angriff genommen worden. Außerdem werden immer wieder Straßen saniert, „jetzt gerade die Freinsheimer Straße, Sie wissen schon, das ist die Straße, an der …“

Und schon landet das Gespräch wieder bei Donald Trump. Thomas Jaworek wird ernst: „Mal angenommen, es geht bei ihm eines Tages nicht mehr nur um Sprüche“, sagt er diplomatisch, „dann könnte ich mir schon vorstellen, dass er zeigen kann, was er wirklich kann.“ Jaworek versteht, dass ein Vorwahlkampf vor allem zur Profilierung dient. Und mit „Brulljes“ hat man zumindest die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Er aber sieht „Brulljes“ als etwas Praktisches: „Wir schaffen erst etwas und reden dann darüber.“ Das könnte er ja Donald Trump bei einem Treffen erklären.

Er könnte mit ihm einen Spaziergang machen, auf den Spuren der Trumps, vorbei an der Winzerstuben, am Friedhof, wo Vorfahren von Trump begraben liegen und schließlich auf den Weinberg hinauf, wo man von oben auf den Dorfkern blicken kann und zu dem kleinen Haus in der Freinsheimer Straße. Zwischen Landhotel und Weingut steht dieses ordentliche Haus, wo Frederick „Trump mit U“ aufwuchs. Wer ganz nah an das Geburtshaus von Trump herantritt, liest auf einem Schild: „Gott sieht alles“ und darunter: „nur mein Nachbar sieht mehr.“

Wie alle hier im Ort, sagt auch der Bürgermeister „Alla“ zum Abschied. Das ist so etwas zwischen „Tschüss“ und „Na denn mal an die Arbeit“.

 

Erschienen in der Berliner Morgenpost, 6.3.2016.