Konzert im Ausnahmezustand: Rainald Grebes großer Abschied in der Waldbühne

Konzert Grebe (Kittel)

Rainald Grebe liegt im Krankenbett und sagt: „Wenn man eine unbekannte Krankheit hat, dann sind die Leitplanken einfach schwarz.“ Man könne was Schönes erleben, aber im Grunde sei alles schwarz. „Es war oft so im letzten Jahr, dass ich mich umbringen wollte, aber dann hab ich gemerkt, ich habe so vieles, das toll ist, ich habe eine Freundin, ich habe ein Kind, das toll ist. Und ich hab euch! Mein Gott!“

Das Krankenbett steht auf der Berliner Waldbühne und Grebe zeigt vor sich, und da sind 10.000 Zuschauer, von denen die meisten ihre Taschenlampen am Telefon angeschaltet haben. Die kleine Rede ist auch schon vorbei und alle auf der Bühne singen weiter: „Knockin’ on Heaven’s Door“ von Bob Dylan, bekannt geworden durch die Band Guns ’n’ Roses: „Es wird immer dunkler, zu dunkel, um noch etwas sehen zu können.“

Und wenn jetzt Rainald Grebe dieses Lied mit der Unterstützung von Freunden auf der Bühne singt, dann könnte man sagen, dass es ganz schön dick aufgetragen ist. Oder man erkennt den Moment darin. In der Waldbühne ist Grebe 2011 das letzte Mal aufgetreten, er kam damals mit Federschmuck auf dem Kopf auf einem Pferd eingeritten. Und hier nun soll mit „Halleluja Berlin“ das große Finalkonzertspektakel stattfinden.

Eingeladen hat er Freunde aus ganz Deutschland: die Dresdnerin Anna Mateur, den Berliner Bodo Wartke und den HipHopper Alligatoah. Dazu Tänzer, Turner, Puppenspieler und einen Chor von Psychologen, die Singing Shrinks von der Charité.

Vor Rainald Grebe tritt das Jagdhornblasensemble aus Köllnitz bei Storkow auf. Sie spielen „La Cucaracha“. Zu dem Zeitpunkt wissen viele im Publikum nicht, ob es wirklich zum Auftritt kommt. Zwischen den Bläsern werden Videos von Thomas Hermanns oder Olaf Schubert eingeblendet, die wortreich erklären, warum sie heute Abend nicht in der Waldbühne sein können. Das tut auch ein bisschen weh, weil die Bühne nicht ausverkauft ist, sondern nur etwas mehr als die Hälfte der Plätze.

Dann betritt Franz Schumann die Bühne. Er sagt, es sei nie ein gutes Zeichen, wenn er auf die Bühne müsse, denn er sitze sonst an der Technik. Man habe geprobt, doch jetzt: „Rainald sagt nun, er kann es leider nicht.“ Da unterbricht Grebe selbst per Video und ruft aus dem Krankenbett: „Doch, doch! Ich kann es doch!“

Im Laufe des Abends werden Grebe und Schumann erzählen, dass diese Szene ein Zitat war. Der Musiker hatte seinen ersten Schlaganfall auf der Bühne während eines Konzerts. Grebe schwitzte und in der Pause bat er Schumann, den Rest des Konzerts abzusagen. Er konnte sich nicht mehr an die Texte erinnern. Was danach passierte, hat Grebe in einem Lied verarbeitet: „Sind Sie nicht dieser Sänger von ‚Brandenburg‘?/Wir wissen nicht was Sie haben, aber wir checken Sie durch.“

Damals kam heraus, dass er Vaskulitis hat, eine seltene Entzündung der Blutgefäße. Bei ihm ist die Erkrankung auf die Hirnregion konzentriert, was in den vergangenen Jahren zu elf Schlaganfällen geführt hat. Mal konnte er nicht laufen wegen eines anhaltenden Schwindelgefühls, mal fehlen ihm Liedtexte, die er selbst geschrieben hat. Die Krankheit führt zum Tod, deswegen, so sagte er auch in der Berliner Zeitung, produziert er gerade „sein Spätwerk“. Er nimmt selbst diese Krankheit mit Humor.

Und so beginnt auch dieser vierstündige Konzertabend mit vornehmlich fröhlichen Liedern: „Volkslieder singen“ von 2007 und „Präsident“ von 2008. Schon da singen viele in der Waldbühne mit, auch die Stelle, wo er das N-Wort singt – und zur Sicherheit ruft: „Das war ein Zitat“. Bei „Prenzlauer Berg“ kann man kaum glauben, dass der Song schon zwölf Jahre alt ist: „Die Mieten sind bezahlbar, denn ich kann sie ja zahlen“ funktioniert jedenfalls heute noch besser als damals. Nur am Ende des Liedes wurde Grebe schon damals melancholisch: „Ich stehe Schönhauser vor dem Schmerzzentrum Berlin/Schöner Name, aber ich spüre rein gar nichts.“

Je länger der Abend dauert, umso eindeutiger werden die Verweise auf die Endlichkeit – des Abends und des Lebens. Er interviewt auf der Bühne einen Jäger und singt dann das Lied „Das Reh ist tot, die Sau ist tot“. Es werden Tiere auf die Bühne geholt, am Rand wedelt ein Papp-Elefant in Lebensgröße mit dem Rüssel.

Grebe macht mittendrin wirklich ernst mit dem Reden über den Tod. Er zeigt ein Foto von Martin Brauer, einst Drummer seiner Band, der vor zwei Jahren überraschend gestorben ist. „Er war eigentlich der Fitteste von uns allen.“ Er sei einfach beim Holzhacken gestorben. Grebe holt drei zusätzliche Drummer auf die Bühne und spielt massenkompatibel: „Ich bin das Beste aus der 70ern, 80ern, 90ern/Ich bin das Beste von heute/Ich bin massenkompatibel“.

Zwischendurch tritt immer wieder Grebes Freund René Marik auf, mal tanzt er einen seltsamen Striptease (ja, bis er komplett nackt ist) zu dem 90er-Jahre-Song „Creep“, mal ist er Gevatter Tod, der im Hintergrund gruselige Verrenkungen macht. Wie alle englischen Lieder an diesem Abend hat auch „Creep“ etwas von einem Abschied. „I don’t belong here“, singt Grebe. Später singt er zusammen mit Anna Mateur ausgerechnet: „I will survive“.

Einmal sieht es so aus, als mache Grebe das Time-out-Zeichen. Er formt die Hände zu einem T und sofort kommen zwei Mediziner in Orange auf ihn zugestürmt. Doch er winkt ab, die Rettungskräfte ziehen sich wieder zurück. Es bleibt ein Konzert im Ausnahmezustand. Wenn er später singt, er möchte gern auf der Bühne sterben, glaubt man es ihm.

Besonders die letzten 90 Minuten sind ein Feuerwerk an Höhepunkten: Wie Grebe mit Alligatoah vom „Raben“ singt, der plötzlich einfach weg ist. Wie beim „Trauerlied“ Grebe nur den Refrain singt: „Ihr schafft den Rest allein.“ Wie Bodo Wartke auf Finnisch ein Liebeslied singt. Wie Grebe die „Flugbegleiterin“ auf ihrem letzten Flug begleitet („Hier kommt die Tomatensaft-Schubse und dann Schluss“) und dann das Lied vom Tod („Der Tod wippt sachte mit der Hüfte/See you soon“). „Knockin’ on Heaven’s Door“ wieder mit der großen Anna Mateur, und dann auch noch das melancholische Lied „Die Fete“. Wieder singt das halbe Publikum mit: „Fete, geile Fete, ich zünd’ noch eine Rakete/Fete, geile Fete, was haben wir gelacht“. Es ist so entsetzlich, dass das der letzte Abend sein soll.

Und dann, wie um die Abschiedstränen für alle kollektiv herunterzuschlucken, schickt Grebe seinen alten Puppenspieler-Lehrer auf die Bühne. Hans Krüger mit einem Pflaster auf der Glatze zeigt exklusiv sein „Feuerwerk aus Holz“, ein absurdes Mitmach-Spiel für die ersten Reihen – zum Mitjohlen für die ganze Waldbühne: „Ooooooh, Peng!“ Das ist messy, handgemacht und albern – und vielleicht deshalb so einzigartig gut.

Zum Schluss dann das Lied, wegen dem ihn auch die Ärzte in der Charité erkannt haben: „Brandenburg“. Zuerst singt Grebe es einmal auf Sorbisch, um diese ethnische Minderheit zu würdigen. Und dann dürfen alle noch einmal auf die Bühne: „In Berlin bin ich einer von drei Millionen/In Brandenburg sollen jetzt auch Löwen wohnen/Brandenburg.“ Beim Refrain knallt beim Wort „Berlin“ ein richtiges Feuerwerk und die Berliner Flaggen fallen herunter. Es ist die ganz große Show, alle stehen auf, Grebe hebt die Arme, neben ihm das Krankenbett.

Es ist 22.52 Uhr als Grebe doch noch nicht nach Hause will. Und so spielen sie noch ein Lied, auch wenn sie damit den Anwalt ärgern, der laut Grebe hinter ihnen im Wald wohnt und dafür sorgt, dass kein Konzert länger als bis 23 Uhr dauert. Er spielt „Sandmann“, noch ein Abschied, diesmal einer, der in den Schlaf führt. „Und ich hab wieder nicht die Welt gerettet“, singt Grebe, „Dann macht’s halt ein anderer.“ In den Sekunden, bevor das Licht ausgeht, kann Rainald Grebe es wohl selbst nicht fassen, dass es das gewesen sein soll. „Vielleicht machen wir doch weiter“, sagt er noch, sichtlich gerührt von den Standing Ovations. „Ich sag mal: Auf Wiedersehen.“