Konzertfilm „The Eras Tour“: Wie ich aus Versehen zum Swiftie wurde

Taylor Swift Film

Okay, das klingt jetzt vielleicht etwas irre, aber ich habe vor ein paar Tagen etwas Neues gelernt: Es gibt diese Stelle im Lied „You Belong To Me“ (Du gehörst zu mir) von Taylor Swift, eines aus der frühen Country-Phase der Sängerin, bei der alle Fans weltweit immer zweimal in die Hände klatschen. Sie singt: „Ich fahre zu deinem Haus mitten in der Nacht, ich bringe dich zum Lachen, selbst wenn dir zum Weinen zumute ist.“ Und da passiert es: Klapp, Klapp! Das war’s.

Warum ich das weiß? Ich habe in Berlin im Kino den Konzertfilm „The Eras Tour“ von Taylor Swift gesehen, den schon jetzt erfolgreichsten Konzertfilm aller Zeiten. Die Stimmung im ausverkauften Saal lässt sich am ehesten mit einer Aufführung der Rocky Horror Picture Show vergleichen: Irgendwann stehen alle auf und tanzen. Und die meisten wissen auch, an welcher Stelle sie noch den Double-Clap machen können, weil echte Fans diese Regel eben kennen.

Es ist Sonntagmittag, 14 Uhr, Ende November, es regnet, und die Aussicht auf drei Stunden in einem Kinosaal erscheint wirklich verlockend. Wir sind zu viert: Sarah kennt Taylor Swift aus ihrer Jugend in den USA. „Sie war irgendwie immer genau in derselben Lebensphase wie ich“, sagt sie, als wir draußen vor der Tür stehen. Bei Austin war es genauso, nur dass er auch ihre neuen Lieder auswendig kennt: „It’s me, hi, I’m the problem, it’s me“, singen wir auf dem Platz vor dem Kino. Dominik kennt bisher nur „Shake it off“. Und als Sarah mich fragte: „Bist du ein Swiftie?“, höre ich mich gequält sagen: „Nein, höchstens ironisch.“

Kurz darauf stehe ich in der Popcornschlange und überlege laut, ob ich diesen Eimer mit Fotos von Taylor Swift kaufen soll. Das kleine Blechding ist eigentlich potthässlich, und die zwölf Euro sind eine Unverschämtheit. Aber wie ferngesteuert antworte ich auf die Frage „Süßes oder salziges Popcorn?“ mit „salzig“ und zahle brav. Wir gehen in den ausverkauften Kinosaal gleich neben der Mercedes-Benz-Arena und irgendwie gehen wir auch in ein Konzert. Kurz bevor der Film beginnt, flüstert Sarah: „Sicher, dass du kein Swiftie bist?“

Die Sache mit Taylor Swift ist kompliziert. Während der ersten Monate der Pandemie gab es diese Tage, an denen sehr wenig passierte, bis dahin kannte ich nichts von Taylor Swift. Im Juli 2020 kam das Album „Folklore“ heraus, Cover in Schwarz-Weiß. Der Spiegel überschrieb seine Kritik mit „Opium fürs Volk“ und nannte die Songs eine „Reise ins Innere“, mit der sich viele identifizieren können. Es passe in die Zeit, über Menschen zu singen, die „von Luft, Liebe und Hoffnung leben können“. Und so begann ich, es mir anzuhören. Der erste Song auf „Folklore“ ist „The 1“ und handelt von jener ersten großen Liebe, die es nicht mehr gibt.

Taylor Swift singt das Lied auch in diesem Kinokonzert. Sie sitzt auf dem Dach eines Landhauses und singt: „Ich dachte erst, ich hab dich an der Bushaltestelle gesehen, aber das warst du gar nicht.“ Eine Zeile, die gut zu Berlin passt, wo fast jede BVG-Haltestelle eine rührende Geschichte erzählen würde, wenn sie sprechen könnte. Und jetzt sitzen zwei Erwachsene im Kino und singen laut und auswendig mit: „You know the greatest loves of all times are over now“ (Du weißt, die größten Liebesgeschichten der Welt sind alle vorbei). Typischer Taylor-Text: Irgendwas mit Trennung und ganz großem Gefühl.

Austin und ich können zu fast allen Liedern die Texte mitsingen – und nicht nur wir: Der ganze Saal kennt die Texte auswendig. Taylor spielt bei dieser Tour, die ab Mai 2024 auch nach Europa kommt, ihre 40 großen Hits. „Enchanted“ und „Fearless“ und „Lover“ und „Love Story“. Fast immer singen fast alle im Saal mit. Gleich beim zweiten Lied „Cruel Summer“ fragt Taylor die 70.000 Konzertbesucher und die 60 Menschen im Kinosaal, ob sie den Text gut kennen und ruft dann: „Beweist es!“ Und kurz darauf ertönt der wohl dramatischste Ruf der Musikgeschichte: „Ich liebe dich, ist das nicht das Schlimmste, was du je gehört hast?!“

Ich weiß ja, das ist Teenage-Quatsch, aber wenn ich um mich blicke, sind genug Menschen über 30 im Saal, die ebenfalls irgendwie in diese Pop-Schleife geraten sind. Denn gerade einmal fünf Monate nach dem Album „Folklore“ kam „Evermore“, Swifts zweites Lockdown-Album. Und wieder sind die Lieder kleine Geschichten von Trennung und Einsamkeit. Es war eine Zeit, als täglich an die 500 Menschen an Corona starben, in Deutschland allein. Und plötzlich gab es noch mal mehr „Landlust“-Gefühl zum Anhören, es wurde Weihnachten, ich bekam kurz vor Heiligabend Corona und hörte: Taylor Swift.

In einem sehr interessanten Video-Podcast geht eine Journalistin dem Erfolg von Taylor Swift nach. Sie beginnt ihren Beitrag mit „Wir müssen über Taylor Swift reden“, weil einfach viele in ihrem Umfeld der Musik verfallen sind, und sie kann es tatsächlich gut herleiten: Swift kam für viele genau zu einer Zeit, als sie sich mit sich selbst beschäftigten, mit dem passenden Soundtrack an. Sie schreibt ihre Texte selbst, und die meisten handeln eben von der Suche nach einer echten Verbindung zu anderen, nach einem wirklich großen Gefühl. Weil sich die Lieder dann noch aufeinander beziehen, entsteht eine Art Sog, dem sich nur wenige Menschen entziehen können. Es ist wie ein Code, den nur diejenigen verstehen, die ihre „Eras“, also ihre Alben, gut kennen.

Damit sind nicht nur die Liedtexte gemeint, sondern auch die einzelnen Referenzen, die Menschen und Momente, auf die sich die Lieder beziehen, im Extremfall auch die Doppel-Klatsch-Momente. Sarah und Austin, die beiden Amerikaner in unserer Kinogruppe, kennen all diese Geschichten, die mir zum Teil nicht geläufig waren. Der Song „Style“ handelt von Swifts Zeit mit dem Sänger Harry Styles, „Shake It Off“ von den vielen Anfeindungen, weil sie eben genau so gedatet hat wie andere Menschen mit Mitte 20. Alle im Saal wissen, dass bei diesem Lied eine Handbewegung gemacht werden muss, als ob man Staub von seinem Körper wegwischt.

Das Lied „All Too Well“ ist gewissermaßen der Höhepunkt dieser Drei-Stunden-Reise durch diese Zeit, Taylor steht allein auf der Bühne: Gitarre, Glitzerkleid und fiese Verse über einen Verflossenen. Es geht darum, wie beide einmal in der Küche getanzt haben, nur im Licht des Kühlschranks, wie seine Freunde sich über sie lustig gemacht haben, weil sie irgendein Buch nicht gelesen hatte, wie er sie „gebrochen hat wie ein Versprechen“ und sie im Bett lag „wie ein Papierknäuel“ und schließlich von „irgendeiner Schauspielerin“ getröstet wird. „Die Schauspielerin ist Jennifer Aniston“, raunt Austin mir zu, „und der Typ, über den sie singt, Jake Gyllenhaal.“

Am Ende spielt sie Lieder aus dem aktuellen Album, also der „Midnights“-Ära. Inzwischen sitzt keiner mehr im Kino, wir feiern hier die beste Party der Stadt. In dieser Woche startet der Beyoncé-Film. Meine Empfehlung: Nur hingehen, wenn es ausverkauft ist. Denn ich muss zugeben, ich hatte den Taylor-Film schon einmal gesehen, total ironisch natürlich, aber da war es halb leer und niemand sang mit.

Eine Woche nach unserem Kinobesuch ruft mich Dominik an, der bisher nur einen Song kannte. Dominik sagt: „Was hast du getan? Ich hör seit einer Woche nur noch Taylor Swift!“ Mission accomplished. Ich stehe gerade in der Küche, vor mir der Blecheimer aus dem Kino. Er dient jetzt als Halter für Küchenrollen.