Markus K. hat als Samenspender eine außergewöhnliche Großfamilie gegründet. Dabei ist er schwul. Bald kommt sein 30. Kind auf die Welt.
Markus K.: Vater von 30 Kindern
München. Neulich fand Markus K. seine Zahnbürste nicht. Der 50-Jährige war bei den Müttern von zweien seiner Söhne zu Besuch. Sie wohnen in einer Kleinstadt rund zwei Stunden von München entfernt. Er blieb über Nacht, und als er abreisen wollte, fand er weder Zahnbürste noch Zahnpasta. Schließlich gab einer der Söhne zu, die Zahnbürste versteckt zu haben.
Er sagte: „Wir wollten, dass Papa noch länger bleibt.“ Markus K. freute sich, ein bisschen, nicht zu sehr, aber doch genug, dass er noch Wochen später daran denkt. Markus. K. kann manchmal nicht glauben, dass der Begriff „Papa“ wirklich der richtige ist für einen wie ihn: Seit er sieben Jahre alt ist, weiß er, dass er schwul ist, und die meiste Zeit seines Lebens dachte er, dass er nie Kinder haben würde.
Er war Priesteranwärter in Regensburg, wurde kurz vor dem Abschluss anonym als schwul geoutet, ist heute Versicherungskaufmann in München. Mit 37 Jahren sah er eine Anzeige: Ein lesbisches Pärchen suchte einen Samenspender.
„Im Oktober haben wir uns kennen gelernt, im Dezember hatte es geklappt“, sagt er, „beim ersten Versuch.“ Den Moment der Geburt des ersten Kindes, ein Sohn, wird er nie vergessen. „Ich habe es per E-Mail erfahren und war überwältigt.“ Der Junge ist heute 14. Damals war das erst der Anfang: „Die Hebamme des ersten Kindes wurde die Mutter des vierten Kindes.“ Die Mütter dazwischen kannten einander vom Münchner Lesbenstammtisch.
Im September kommt sein 30. Kind zur Welt, es wird ein Junge werden. Dann sind es 15 Mädchen und 15 Jungen, die „mit meiner Hilfe“ entstanden sind, wie er es ausdrückt. 16 Müttern hat er seinen Samen gespendet. Vor jedem Versuch lernt er die Frauen, meist lesbische Paare, gut kennen. Er versucht herauszufinden, ob man einander mag. Seine Bedingungen sind klar: Er möchte Kontakt zu den Kindern haben, mehr will er nicht. Die Frauen sollen einen stabilen Eindruck machen und keine finanziellen Ansprüche an ihn stellen.
„Ich glaube, ich hatte sehr viel Glück mit meinen Frauen“, sagt er, „denn es hat bisher funktioniert.“ Außer im Januar gibt es jeden Monat mindestens einen Geburtstag, auf den er eingeladen ist, im Juli sind es vier. „Vor drei Jahren lud ich sie zu meinem Geburtstag ein und alle Münchner Mütter kamen“, sagt er.
Stolz zeigt er ein Familienfoto mit ihm in der Mitte und 16 Kindern um ihn herum. Die anderen Kinder wohnen verteilt in Deutschland und Europa. Zu denen fährt er dann für kurze Ausflüge. „Ich stelle mir manchmal vor, dass die Halbgeschwister später einander kennenlernen und froh sind, dass sie immer jemanden zum Reden haben.“
Nicht immer läuft alles so glatt, wie es der Begriff „Regenbogenfamilie“ vermuten lässt, der für seine Art der Familie verwendet wird. Weil es so viele sind, hat er eine Liste mit den 29 Namen seiner Kinder auf einem Din-A4-Blatt.
Hinter jedem Vornamen steht eine Geschichte. Mehrere Mütterpaare haben sich scheiden lassen, und eine der Mütter hat ihren Ehemann durch Selbstmord verloren. Scheidung und Tod der Eltern, das sind Dinge, die er seinen Kindern gern erspart hätte.
Und dann ist da der 6. Dezember 2006. Es ist das Datum in der Liste, das mit einem Stern gekennzeichnet ist. An dem Tag wurde der Sohn geboren, der schon vor der Geburt im Bauch der Mutter starb, im achten Monat. „Das war der absolute Alptraum, vor allem für die Mutter.“ Markus K. sagt, auch er habe viel geweint damals. Obwohl danach noch 22 weitere Kinder gesund zur Welt kamen, der Kleine hat einen festen Platz an seiner Wand über dem Küchentisch. „Noch heute rufe ich die Mutter am 6. Dezember an.“
Neulich hat er im Intranet seiner Firma von seiner Vaterschaft berichtet. Es gab Zuspruch, aber auch kritische Fragen, alles Dinge, mit denen er sich seit der Geburt des ersten Kindes auseinandersetzt: Was für eine Art Vater will er sein? Wird es irgendwann zu viel? Wie geht es den Kindern damit? Und die wichtigste: Warum macht er das?
Er erzählt dann, dass er Frauen zu einer Familie verhelfe, die sonst für eine Samenspende 2000 Euro und mehr zahlen müssten, dass er gesund lebe, weder rauche noch trinke – und er denkt, etwas wirklich Schönes weiterzugeben: Leben. Er mag es, seine Eltern und Großeltern in den Gesichtern der Kinder wiederzusehen. „Das ist etwas ganz Archaisches“, sagt er, „dieses Gefühl, dass es irgendwie weitergeht.“
Schwierig ist es für ihn, ohne Partner zu leben. Markus K. ist seit 13 Jahren Single. Sein Mann müsste tolerant sein, Lust haben auf Geburtstage und Kinder, die sich auch von sich aus melden. „Mein ältester Sohn hat mich neulich auf Facebook angefragt“, sagt er. Sonst meldet er sich über WhatsApp oder besucht sie zum Geburtstag, zur Schuleinführung, zu Weihnachten, bei manchen öfter.
Markus K. will nach dem 30. Kind nicht aufhören. „Ich habe noch zwei, drei Paare, denen ich helfen will“, sagt er. „Danach ist Schluss, vielleicht.“ Er macht eine Pause und lächelt, weil noch eine Frage unbeantwortet ist: Wie macht er es? Er antwortet nüchtern, erzählt von Haferflocken, die er oft esse („gut für die Spermien“) und von dem Einwegplastikbecher, den er den Müttern an der Tür übergibt.
Die Mütter benutzen dann eine kleine Plastikspritze für die Insemination. Eine der Mütter, verheiratet mit einem Mann, hat Markus K. deshalb „Bauchpapa“ genannt. Zum Kind sagte sie: „Du hast einen Papa, und das ist der Mann, der dich in meinen Bauch brachte.“
Erschienen in der Berliner Morgenpost am 5.6.2018