Regenbogenfamilien in Berlin: Divers, international und ein bisschen flirty

Nach dem Coming Out noch Vater werden? In Berlin schon länger das neue Normal.

Neulich holte Holger seinen Sohn von der Schule ab. Der Junge geht in die dritte Klasse und Holger war schon in Hörweite, als er mitbekam, wie der Sohn von zwei Fünftklässlern geärgert wurde. „Das ist voll schwul“, rief einer von ihnen. Der Sohn antwortete: „Schwul ist kein Schimpfwort, Mann!“ Der Vater war ein bisschen stolz auf seinen Sohn, da rief der Fünftklässler: „Oh Gott, hast Du etwa auch Religion bei Frau Pinkert?“ Sein Sohn: „Nein, meine Väter sind schwul und das ist total okay.“

Holger erzählt die Geschichte an diesem Montag im Café am Neuen See. Es ist einer dieser warmen Abend, an dem die T-Shirts bei vielen Gästen am Körper kleben bleiben und eine leichte Brise ab 22 Uhr verrät, dass es bald richtig stark regnen wird. An einem der Holztische sitzen bei Alster, Schorle und Weizen-Alkoholfrei 18 Männer, von denen alle Kinder haben, obwohl sie nicht mit den Müttern zusammen waren oder sind. So lässt sich die Situation von schwulen Vätern vielleicht am besten beschreiben. Der Gay-Daddies-Stammtisch findet einmal im Monat statt, immer an wechselnden Orten, diesen Monat eben in Tiergarten.

Nachdem Holger die Schulgeschichte erzählt hat, berichtet ein anderer von seiner 18-Jährigen, die neulich ihren ersten Freund mitbrachte: „Der Typ war 19 und ich merkte, ich bin wahrscheinlich der Aufgeregteste am Tisch im Restaurant.“ Dann erzählt ein Pflegevater, wie sein Sohn die beiden Väter in der U-Bahn immer gleich outet: „Hey Papa und Papi! Schaut mal!“ Neulich hätte eine neugierige Frau gefragt, wo denn die Mutter sei. „Die kommt übermorgen zu Besuch“, konnte der Junge dann sagen.

Bei diesem Stammtisch treffen sich Berliner Väter, die irgendwann ihr Coming Out als schwuler Mann hatten und trotzdem eine Familie gründen wollten. Dieser Verein, der seinen Ursprung in einer WhatsApp-Gruppe hat, ist irgendwie typisch Berlin: divers, international und auch ein bisschen flirty. Hier sitzt ein polnischer Deutscher neben einem asiatischen Briten, ein Muskelshirt-Daddy neben einem Rauschebart-Hipster, Adoptiv-Vater neben Leihmutterschafts-Vater, Opernfan neben Hut-Träger, Trans-Mann neben Hetero, der eine Lesbe geschwängert hat (war alles schon da), Klima-Aktivist neben Immobilien-Makler.

Chef der Runde ist Gianni Bettucci, der sich vor acht Jahren, so alt ist seine Tochter, mit anderen Vätern vernetzen wollte, um Geschichten, Kindersitze oder Strampler auszutauschen. Und so traf er sich 2015 in einer Kneipe in Kreuzberg mit zwei anderen Vätern, kurz darauf mit vier weiteren in Prenzlauer Berg. Mittlerweile sind rund 150 Männer Mitglied in der WhatsApp-Gruppe. Bettuccis Idee war es auch, einmal im Jahr das „All-In-Treffen“ zu veranstalten, dieses Jahr am Sonnabendnachmittag in Schöneberg (Cheruskerstr.22, 15 Uhr).

Bei diesem Treffen kommen nicht nur die Väter, sondern auch die Mütter und die Kinder zusammen. Dieses Jahr wird ein Clown auftreten, es wird einen Schminktisch geben und manchmal wird man von außen gar nicht unbedingt erkennen, dass diese Familien unkonventionell sind. Denn viele Mütter, Väter und Kinder werden hier auf der gleichen Decke sitzen, nur manchmal dabei eben noch die Hand einer Co-Mutter oder eines Co-Vaters halten. Auch zu diese Treffen kommen jedes Jahr mehr Menschen.

Kennengelernt haben viele sich genau neben dem Schauplatz des „All-In-Treffens“: Im Regenbogenfamilienzentrum, ein Ort, der schon vor Jahren die Auszeichnung Land der Ideen bekam. Hier gibt es eine Schwangeren-Gruppe für Lesben, Spieletreffs, Krabbelgruppen, Rechtsberatungen und das Wichtigste: einmal im Monat die Kinderwunschgruppe. Dann sitzen sich Männer und Frauen, Paare und Singles gegenüber und stellen Fragen: Wie können wir Eltern werden? Welche Methode ist die beste? Und: Wie organisiere ich das Sorgerecht?

Die letzte Frage ist auch am Montag immer wieder Thema zwischen den Vätern im Café am Neuen See. Manche sehen ihr Kind täglich, weil es bei ihnen wohnt, andere im Wechselmodell, andere nur einmal in der Woche. Manche wollten ursprünglich letzteres und waren dann damit konfrontiert, dass das Kind andere Vorstellungen hat und fragt: Kommst Du morgen wieder? Und wenn es bei der Mutter passt, dann kommt man dann eben noch einmal.

Akzeptanz gerade in Berlin ist hoch

In dieser Runde wird auch deutlich, warum schwule Väter in Berlin sich von vielen in den USA stark unterscheiden: Die Väter hier in Europa können kaum ein Gespräch über ihre Kinder führen, ohne von „unseren Müttern“ zu reden. In den USA ist bei schwulen Vätern Leihmutterschaft die Regel, in Berlin die Ausnahme. Die meisten gründen eine Regenbogenfamilie — und lassen sich damit auf ein Familienmodell ein, das für viele noch immer ein Novum ist. Doch die Akzeptanz ist gerade in Berlin hoch. Einer der Berliner Väter trat neulich mit seiner Tochter in einer Werbung für Armani auf. Darin sagt er: „Wir sind ein gutes Team.“

Das Treffen der Regenbogenfamilien in diesem Jahr findet auch in einer besonderen Zeit statt: Es gibt Politiker (vor allem Grüne), die versuchen, die Rolle des Vaters in Regenbogenfamilien weiter zurückzudrängen. Unter dem Hashtag „Nodoption“ kämpfen Frauen gegen die in der Tat viel zu komplizierte Stiefkindadoption. Ihrer Forderung nach aber soll die Ehefrau automatisch das Sorgerecht für das gemeinsame Kind bekommen.

Aber gerade weil die Väter in der Runde wissen, dass ihre Rolle gern in der Gesellschaft übergangen wird, werden die Gespräche auch immer wieder politisch an diesem Abend. Immerhin: Das Logo des Regenbogenfamilienzentrums bestand bis vor wenigen Jahren noch aus zwei Müttern mit Kind. Jetzt sind es zwei geschlechtsneutrale Figuren.

Ein Vater erzählt an diesem Abend im Tiergarten, wie ein Kindergartenkind neulich an seinem bunten Hemd zupfte: „Das ist so bunt, das tragen doch nur Frauen.“ Er habe dem fremden Kind freundlich gesagt, dass er eben bunte Hemden mag. Ein anderer erzählt, dass er im Berliner Schwimmbad keine Familienkarte bekam, weil die Frau an der Kasse sie nicht als Familie akzeptierte. Am Ende berichtet ein Vater von einer erfreulichen Kita-Rückmeldung: „Sie wollen meinen Sohn gerne aufnehmen. Sie haben noch kein Regenbogenkind und hätten endlich gern eins.“

Sören Kittel ist selbst Vater einer Tochter in einer Regenbogenfamilie. Zusammen mit Alexander Schug, Ulrich Heissig und Gianni Bettucci hat er das Regenbogenväterbuch(Omnino-Verlag, 368 Seiten, 22 Euro) herausgebracht