Berlin – Irgendwann kamen abends Anis und Anna-Maria Ferchichi mit einer braunen Nike-Plastiktüte voller 500er-Scheine zu Steven K. und seiner Freundin. Sie sagten: „Kannst du uns helfen, das Geld zu zählen?“ K. hatte noch nie so viel Geld auf einmal gesehen. Anis Ferchichi erklärte ihm, das sei Schwarzgeld unter anderem von Konzerten. 40.000 Euro pro Konzert. „Ich dachte damals“, sagt Steven K., „das ist ja mehr als ich im ganzen Jahr verdiene.“ Beeindruckt habe ihn das alles. Zwei Stunden lang haben sie gezählt, in einem Mehrzweckkeller in einem Mietshaus. Viermal kamen sie auf die Zahl von 975.000 Euro. Dann hat Anis ein Bündel Scheine herausgenommen. Davon sollten wohl Autos gekauft werden. Die Plastiktüte wurde dann im Keller abgestellt.
Diese Welt von Drogen, Versicherungsbetrug, Prostitution und Schwarzgeld im Keller – das ist keine Netflix-Serie über Geldwäsche wie „Ozark“, sondern das war Alltag für Steven K., der zwischen 2015 und 2017 zum Freundeskreis von Bushido gehörte. Das ist jener berühmte Deutsch-Rapper, der bürgerlich Anis Ferchichi heißt und seit eineinhalb Jahren Nebenkläger in einem Prozess am Berliner Landgericht ist gegen vier Brüder aus der Abou-Chaker-Familie. Der mutmaßliche Bandenchef Arafat Abou-Chaker war zwischen 2004 und 2018 Bushidos bester Freund und Manager. Als diese Freundschaft aber endete, sollen die vier Brüder den Rapper geschlagen, beleidigt, genötigt, bedroht und eingesperrt haben.
Bushido allerdings hat an 23 Prozesstagen ausgesagt über diese Freundschaft, die sich für ihn wie eine „Zwangsehe“ anfühlte und ab dem Januar 2018 lebensbedrohlich erschien. Vor Gericht hat er geweint und auch von der Todesangst gesprochen, die er um seine Familie hatte. Immerhin lebt Bushido seit der Trennung von Arafat unter Polizeischutz, tritt auch vor Gericht im Sicherheitssaal in Moabit immer begleitet von vermummten Beamten auf. Abou-Chakers Verteidigung hat immer wieder deutlich gemacht, dass sie dieser Darstellung widerspricht. Bisher aber schweigen sie zu den Vorwürfen.
Der erste Zeuge, den die Verteidigung am Mittwoch in den Zeugenstand ruft, ist nun Steven K. Der 37-Jährige soll zeigen, wie es ist, mit Bushido befreundet zu sein. Er war 2015 Stammkunde in Bushidos Zierfisch-Geschäft am Hindenburgdamm, „Into the Blue“. Über die Fische haben sich beide dann angefreundet, sie gingen zusammen angeln, und als sich dann ihre beiden Freundinnen auch verstanden, wurden sie alle gute Freunde.
Fast den ganzen Tag habe sich Steven K. um die Belange seines neuen besten Freundes gekümmert, über Jahre. Das ist schon deshalb interessant, weil Bushido häufiger gesagt hat, dass er „keine Freunde habe“, mit denen er Probleme, wie die mit Arafat, besprechen könne.
Steven K. kommt am Mittwoch in einem Pullover, auf dem „Fish Buddy“ steht. Schon in der ersten Stunde im Zeugenstand sagt oder ruft er einen Satz über Bushido, der der Verteidigung sehr gefallen muss: „Er ist ein Schauspieler!“ Als Beispiel führt K. eine Flugreise an, eine der vielen Reisen, die er mit Bushido gemacht hat: Malediven, Kanada, New York. Sie seien zwar Business Class geflogen, aber kurz nach der Landung habe Anis Ferchichi am Telefon seine Frau Anna-Maria angerufen und sich beschwert, dass wegen der Economy Class sein Nacken ganz verspannt sei. „Sie hat ihn dann drei Stunden massiert“, sagt K. Er habe auch miterlebt, wie Bushido seine Frau betrogen habe auf diesen Reisen, mindestens einmal mit einer Prostituierten. „Ich habe dann unten an der Hotelbar gewartet, weil wir uns ein Zimmer geteilt hatten.“
Diese Art von Freundschaft wird in einer amerikanischen TV-Serie dargestellt, die in den frühen 2000ern bekannt war: Entourage. Sie erzählt vom Schauspieler Vincent, der aus New York kommt und sich in Hollywood erst zurecht finden muss. Dabei helfen ihm Freunde, die immer da sind, mit ihm Zeit verbringen, ihn an Termine erinnern, ihn beraten bei Rollen — und finanziell von ihm abhängig sind. Inspiriert war sie vom Leben des Schauspielers Mark Wahlberg, der auch der Produzent dieser Serie war. Sie erzählt auch von den Problemen, wenn Geld sich mit Freundschaft vermischt, wenn die Entourage plötzlich Zeit ohne den Star verbringen will.
Steven K. hatte genau diese Probleme, aber er erlebte auch eine rauschende Dauerparty: Die ersten Jahre zumindest, so sagt es Steven K. im Zeugenstand, habe er durchaus profitiert. Er hat im Zierfischladen gearbeitet („Netto waren das 1300 Euro im Monat“). Zu Weihnachten 2015 hat er eine Rolex für rund 9000 Euro geschenkt bekommen („Das war immer ein Traum von mir“).
Er ist sogar in die Wohnung neben Bushido gezogen, auch wenn diese dann nicht mietfrei war, wie es ihm versprochen worden war. Häufig trafen sie sich abends dort zum „Stammtisch bei K.“, wie sie diese Abende nannten, zusammen mit anderen Rappern wie zum Beispiel Samra. Sie spielten Brettspiele, schauten YouTube-Videos und rauchten Joints. „Anis hat nie mitgeraucht, aber er hat sie immer gern gedreht.“ Wenn K. aber mal keine Lust auf Gäste hatte, sagte Bushido: „Ach komm, du schaffst das schon.“
Steven K. erzählt im Zeugenstand all diese Details mit Wut im Bauch. Nichts mehr wolle er mit den Ferchichis zu tun haben. Dazu hat auch beigetragen, dass er immer mehr von den Schattenseiten der Welt des Rappers mitbekam. Als Anis Ferchichi 2016 wegen Versicherungsbetrugs in Höhe von 360.000 Euro angeklagt wurde, sollte K. für den Freund aussagen, das heißt: lügen. K. tat ihm den Gefallen, weil der Rapper ihm im Gegenzug versprach, dessen Schulden von 14.000 Euro für die Beerdigung des Vaters zu bezahlen. Er tat das jedoch nie. Dafür habe sich Arafat Abou-Chaker immer um seine Probleme gekümmert. Ist deshalb seine Erinnerung an den Bandenchef letztlich so freundlich?
Zum eigentlichen Verfahren – der Freundschaft zwischen Abou-Chaker und Bushido – kann K. nur wenig sagen. Er war zwar oft dabei, wenn sie sich stritten, auch im Spätsommer 2017, als es um den Zaun auf dem gemeinsamen Grundstück in Kleinmachnow ging. Doch K. hielt sich stets zurück, hörte sich den Streit nur an, ergriff nicht Partei. Dass es auch gefährlich werden konnte, hatte er kurz zuvor erfahren. Im Mai 2017 hatte ihm Bushido vorgeworfen, Geld aus der Kasse des Zierfischladens genommen zu haben. Bushido habe ihn gewarnt: „Wenn ich das Arafat sage, bricht er dir die Knochen.“ K. schwor, dass er kein Geld gestohlen habe, doch zur Sicherheit versuchte er, es bei seiner Familie zu leihen. Bei der Erinnerung an diese Krise verliert er vor Gericht noch einmal die Fassung. Zitternd trägt er vor, dass ihn diese ungerechte Beschuldigung sehr geschockt habe.
Kurz darauf wird der Zierfischladen geschlossen. Er habe ohnehin nicht genug Geld abgeworfen, Anis kam nur vorbei, um Anträge zu unterschreiben und World of Warcraft zu spielen. K. beschreibt ihn als „geldgeil“. Die Freundschaft zwischen beiden war deutlich abgekühlt, vorbei die Zeit, als sie im Hotel die Betten zusammenschoben, wie er erzählt. K. war am Ende zu einer Art Hausmeister und Mädchen für alles geworden: Holte die Kinder ab, baute Schaukeln auf, reparierte kaputte Lampen. Auf Reisen war er noch dabei, Bushido sagte ihm, er könne ihn „bei der Steuer absetzen“.
Das Ende der Freundschaft kam dann ganz abrupt am 23. Dezember 2017. Am Abend zuvor hatte Steven K.s Freundin nicht mit Bushidos Frau „feiern gehen“ wollen. Bushido rief ihn zu sich und sagte ihm, dass er ausziehen müsse. „Ich sei ihm zu teuer geworden“, ist ein Satz, den er noch weiß. Und: „Du kannst dich bei deiner Frau bedanken.“
Steven K. wohnte dann noch einen Monat in seiner Wohnung neben den Ferchichis. Er ließ meistens die Jalousien unten, ging nur auf die Straße, wenn es nötig war, versuchte den Kontakt zu vermeiden. Einmal aber, erzählt er, kam Anis Ferchichi gerade mit einem Auto herangefahren. Sie haben sich nicht mehr in die Augen gesehen, sondern Anis habe nur verächtlich zur Seite geblickt.
Steven K. hat sich wieder bei seinen alten Freunden gemeldet. Die hatte er lange Zeit vernachlässigt. Und er hat wieder ein geregeltes Einkommen. Er arbeitet jetzt bei der Berliner Stadtreinigung.