Berlin – Die deutsche Botschafterin in Jakarta, Ina Level, ist vier Monate im Amt und hat in dieser Woche einen ungewöhnlichen Termin absolviert. Am Donnerstag steht sie im Norden der Insel Sulawesi vor einer Synagoge und spricht über den schlimmsten Teil der deutschen Geschichte: „Es ist wichtig, dass man sich an den Holocaust erinnert“, sagt sie der lokalen indonesischen Zeitung Tribun Minahasa und ergänzt: „überall auf der Welt.“ Level spricht von sechs Millionen ermordeten Juden, die durch Deutsche in Konzentrationslagern umkamen und dass solches Leid nur verhindert werden kann, wenn nachfolgende Generationen davon erfahren. „Menschen, die um den Holocaust wissen, werden hoffentlich vorsichtiger umgehen mit Situationen, in denen sie Rassismus oder Diskriminierung sehen.“
Dabei war so etwas wie eine Feier zum Holocaust-Gedenktag in Indonesien bisher undenkbar. Im Land der 13.477 Inseln bedeutete der 27. Januar bisher nur wenig. Als die Deutschen Konzentrationslager errichteten, hatten die Einwohner Indonesiens mit der japanischen Besatzung zu kämpfen. In den Jahren nach der Unabhängigkeit wurde das Land von der Hauptinsel Java regiert, die zu beinahe 100 Prozent muslimisch ist. Die anderen Inseln sind weit weniger dicht besiedelt, dafür aber religiös sehr divers: Christen, Hindus, einige wenige Buddhisten und Naturreligionen kommen vor. Judentum wurde — mehr aus Solidarität mit dem arabischen Raum — nicht anerkannt, die letzte Synagoge 2009 geschlossen.
Dann kam Yaakov Baruch. Der 39 Jahre alte Indonesier wurde in Manado geboren und gründete vor acht Jahren wieder eine jüdische Gemeinde in Indonesien. Sie befindet sich rund 20 Kilometer vor der Stadt, in einem Neubau, der von außen unscheinbar aussieht. Jeden Freitag treffen sich zwischen 10 bis 20 Gläubige zum Shabbat. Selbst die Nachbarn wussten lange nicht, was der Stern mit den sechs Zacken bedeuten soll, der in den Zaun eingearbeitet ist. Seit dieser Woche steht dort ein weiteres Gebäude: das erste Holocaust-Museum in einem südostasiatischen Land.
„Ich habe in vielen Gesprächen gemerkt“, sagt Yaakov Baruch der Berliner Zeitung am Wochenende, „dass viele Indonesier nichts wissen über den Holocaust.“ Es ärgerte ihn, wenn er manchmal Witze hören musste über Adolf Hitler, dabei kennen die wenigsten Indonesier die genauen Ereignisse rund um die Vernichtungslager und den Massenmord. Sie stellen ihn selten in Frage, aber sie wissen einfach zu wenig darüber. „Am schlimmsten ist, wenn Indonesier sagen, es sei schade, dass Hitler seine Arbeit nicht vollenden konnte.“ Er weiß, in Deutschland sind solche Aussagen verboten, in Indonesien nicht. „Aber in diesem Fall betreffen diese Aussagen auch mich“, sagt der Indonesier, „31 meiner Verwandten kamen im Holocaust um.“
Yaakov Baruch ist gelernter Hochzeitsfotograf und wurde von seinen Eltern lange Zeit als Christ erzogen. Doch eines Tages vor rund 20 Jahren erfuhr er von seiner Tante, dass er nicht die ganze Wahrheit kennt. Sie stritten um das Leben Mohammeds, was nicht ungewöhnlich war, er stritt mit seiner Tante oft über den Propheten. Doch dieses Mal beendete sie den Streit wütend mit dem Satz: „Ach, hör doch auf, du bist sowieso eigentlich ein Jude.“ Dann zeigte sie ihm Fotos aus dem Familienalbum, die mütterliche Linie seiner Familie war jüdisch. Seine Großmutter war noch regelmäßig in die Synagoge gegangen, seine Mutter schon nicht mehr.
Baruchs Familie stammte aus Surabaya. In dieser Stadt auf Java war bis zur Unabhängigkeit Indonesiens die größte jüdische Gemeinde gewesen, zum großen Teil geflüchtete Juden aus den Niederlanden oder Deutschland. Zwischen den beiden Weltkriegen lebten rund 2000 Juden auf den Inseln. Als die Japaner 1942 Indonesien okkupierten, behandelten sie Juden ähnlich schlecht wie es die Nazis taten: Juden wurden interniert oder mussten Zwangsarbeit leisten. Die, die fliehen konnten, bauten sich ein neues Leben in Australien, den USA oder Israel auf. Baruchs Familie floh nach Manado und tauchte unter.
Dass er ausgerechnet in dieser Stadt sein Judentum ausleben kann, ist kein Zufall. Manado hat einen doppelten Ruf, wird als die „betende Stadt“ bezeichnet, weil die Menschen dort als sehr fromm gelten — und gilt als sehr tolerant. Seit Jahrzehnten leben Muslime und Christen zu gleichen Teilen in der Stadt und es kam bisher zu keinen nennenswerten Spannungen. Weil die Menschen hier so fromm sind, haben viele Mekka und Bethlehem besucht. Bei einem dieser Besuche in Israel sah ein Politiker den siebenarmigen Kerzenleuchter – und ließ eine 13 Meter hohe Statue errichten: Die weltgrößte Menora steht aktuell also in Indonesien. Und Yaakov Baruch setzt sich sehr für den interreligiösen Dialog in der Region ein.
Das Holocaust-Museum soll dafür auch ein Zeichen sein. „Derzeit besteht es vor allem aus Spenden aus Yad Vashem“, sagt Yaakov Baruch. „Nach meinem Besuch in Israel habe ich den Kontakt zur Gedenkstätte gesucht und um Hilfe beim Herstellen dieser Poster gebeten.“ Er hat sie bekommen. Bei den Führungen, die er selbst gibt, kann er auch seine Geschichte erzählen. Die Familie seiner Mutter und Tante lebte in Den Haag und im Norden Deutschlands. „Ihr Vater, ihr Onkel, sämtliche Verwandten sind in Auschwitz und Sobibor umgekommen.“ Baruch wollte dieses Museum auch für sie eröffnen.
Als ihre Namen am Donnerstag verlesen werden, weint Yaakov Baruch. Neben ihm ist noch ein weiterer Indonesier zu Gast, der ebenfalls Familienmitglieder im Holocaust verloren hatte. Hier drei der Namen: Dina van Beugen wurde mit 35 Jahren in Sobibor ermordet, Betje Mool wurde mit 62 Jahren in Sobibor ermordet, Henrietta Francina van Beugen wurde mit 29 Jahren in Auschwitz ermordet.
Die Ausstellung besteht aus zwei Räumen, nebeneinander, der größere misst 40 Quadratmeter und enthält die Dauerausstellung. Der kleinere soll für Treffen zur Verfügung stehen. Der indonesischen Regierung kommt das Engagement des Rabbis sehr entgegen. War das Land doch in den vergangenen Jahre von allem in die Schlagzeilen geraten, weil es einen Hitler als Wachsfigur in einem Selfie-Museum aufgestellt hatte. Einige Jahre zuvor hatte ein Mann ein Café schließen müssen, weil dort alle Kellner in SS-Uniform bedienten. Beides hatte einen internationalen Aufschrei hervorgerufen. Yaakov Baruchs Museum, das dem Massenmord einen Gedenkort schafft, auch wenn dieser Massenmord in 11.000 Kilometern Entfernung stattgefunden hat, könnte ein Anfang sein.
„Ich fühle mich hier inzwischen sehr sicher“, sagt Yaakov Baruch, „und weiß, dass dieser Weg der richtige ist.“ Er wolle weiterhin Gästen aus aller Welt seine Religion hier in Manado näher bringen – und wenn es die Zeit erlaubt, auch mal einen Shabbat auf Bali feiern. Neben der deutschen meldeten sich in dieser Woche auch die spanische, portugiesische und die amerikanische Botschaft bei ihm. Überrascht hat ihn die positive Rückmeldung der Anwohner und der Lokalregierung. Die große Anzahl der Besucher bei der Eröffnung – es waren mehr als 100 Gäste gekommen – machte ihm Mut.
Es gab einmal eine Zeit, in der das anders war. Das war, als Yaakov Baruch noch in Jakarta lebte. In der Zeit war er Ende 20 und trug meist seine Kippa offen in der Stadt. Doch plötzlich sprach ihn ein Teenager an, was dieser Hut zu bedeuten hatte. Der 11. September 2001 war noch nicht lange her und auch in Indonesien waren damals Bombendrohungen von Islamisten an der Tagesordnung. Er floh damals vor drei Angreifern quer durch eine Mall. Er konnte entkommen.
Was die Botschafterin beim Dinner nach der Eröffnung gegessen hat, ist nicht überliefert. Sicher ist nur, dass Manado noch für eine dritte Spezialität bekannt ist. Es gibt den „Extremen Markt“; dort wird frisches Rattenfleisch am Spieß neben gegarter Hauskatze und geräucherter Python verkauft. Für Europäer ist das ziemlich schwer erträglich. Yaakov Baruch zuckt nur mit den Schultern: „Früher mochte ich all das“, sagt er, „aber keines der Gerichte ist kosher.“